Mittwoch, 22. Mai 2013

ADHS in der Fernsehredaktion

Die ATV-Serie "Brennpunkt Schule" möchte vorgeblich das Bildungssystem reformieren - doch offenkundig wird nur ein Ziel verfolgt: Sozialporno goes school.

"Diese Staffel von "Brennpunkt Schule" ist leider zu Ende." liest man auf der Internetseite des Privatfernsehsenders. "Die Presse" hat bereits treffend analysiert:
Die neue Reportage-Reihe von ATV widmet sich den Schwächen der (staatlichen) Schulen und schreckt nicht davor zurück, Kinder bloß zu stellen.
Sich die Folgen der Staffel anzusehen ist technisch auf der Seite von ATV ziemlich leicht möglich. Wie gesagt, technisch. Wer sich das tatsächlich antut, braucht allerdings Medikamente - gibt es eigentlich Kurzzeitgedächtnishemmer? Die Sendung funktioniert wie eine Gebetsmühle, nicht nur dass die selbe unterschwellige Aussage
Privatschulen sind super. Das Schulsystem ist böse. Privatschulen sind super. Das Schulsystem ist böse. Privatschulen sind super. Das Schulsystem ist böse. ...
immer wieder in anderen Worten und von anderen Personen wiederholt wird, es kommen einzelne Interviewsequenzen bis zu vier Mal pro Sendung vor. Dass die Äußerungen einzelner Interviewpartner dabei ein Mal diesen Sinn ergeben, einmal einen anderen, je nach dem, wie sie zusammengeschnitten wurden, darf einen dabei ebensowenig stören wie inhaltliche Widersprüche zwischen den zu Rate gezogenen "Experten".

In der letzten Folge wird ein Unterstufenschüler bloßgestellt und seine ADHS-Diagnose ausgeschlachtet und er muss sich dann mit einem Oberstufenschüler aus wohlhabendem Hause vergleichen lassen, der eine innovative Privatschule besucht.
An dieser Oberstufenschule werden in fünf Jahren die vier Jahre AHS-Oberstufe mit hochinnovativen Methoden (Referaten, Offenes Lernen, Medienrecherchen) unterrichtet, dann - das wird am Rande erwähnt - kommen extern zugekaufte LehrerInnen, die für das Teaching-for-Testing zuständig sind und mit den auf Chillen getrimmten Jugendlichen für die Externistenprüfungen pauken dürfen. Von denen wird natürlich niemand interviewt.

Soll man der Redaktion jetzt Böswilligkeit, Desinteresse oder Dummheit unterstellen, dass ihr leider bei der Erstellung des Beitrages einiges entgangen ist:
  • Sie vergleicht einen Oberstufenschüler mit einem Unterstufenschüler.
  • Sie vergleicht eine massiv geförderte Schule mit einer kaputtgesparten staatlichen Schule, die noch dazu den ungeliebten Schultyp der AHS-Unterstufe im Programm hat.
  • Sie vergleicht eine Schule mit grad über 100 SchülerInnen mit einer Schule mit knapp 1000 SchülerInnen.
Was aber noch ärgerlicher als alles zusammen ist: Die Redaktion erhebt Forderungen nach Coaching und Förderung - und hat sich nicht die Mühe gemacht, zu recherchieren, ob es das nicht vielleicht geben würde.
Coaching gibt es nämlich tatsächlich: Im Rahmen des Pilotprojektes NOWA (Neue Organisationsstrukturen an Wiener AHS) wurde im öffentlichen Schulsystem Raum geschaffen, in dem Organisationsaufgaben an der Schule so verteilt werden können, dass die daraus entstehenden Belastungen nicht hinderlich für den Unterricht sind, sondern förderlich. Schülercoaching, Peer-Mentoring und Mediation inbegriffen.
Das Pilotprojekt, das mit dem Schuljahr 2007/08 begonnen hat, wird vom Stadtschulrat gerade "heruntergefahren" - im kommenden Schuljahr auf die Hälfte reduziert und im darauffolgenden dann eingestellt. Darüber hätte man durchaus ein Wort verlieren können, wenn man Journalismus nicht nur aus dem Fremdwörterbuch kennen würde.