Freitag, 31. Mai 2013

Volksschulen und ihr Output

Seit einigen Jahrzehnten gibt es schon eine Elterngeneration, von der ein beträchtlicher Anteil alternativ denkt und auch alternativ handeln möchte. Davon lebt inzwischen ein ganzer Wirtschaftszweig, und das ist gut so. Auch in der Bildungslandschaft hat das seine Auswirkungen. Denn als alternativ denkende Eltern(teile) will man natürlich auch die Schulbildung der Kinder kontrollieren und bestimmen.
So streiten sich im Internet linke Intellektuelle über eine neue Version der Gretchen-Frage in diesen Kreisen: Eine gewisse Sybille Hamann plädiert für die Integration der wesentlichen Elemente fortschrittlicher Schulen in das Regelschulwesen und gegen die elitäre Segregation des Nachwuchses in abgeschotteten Elfenbeintürmchen namens Alternativschulen. Ein gewisser Gerhard Stöger findet das polemisch - meint dabei allerdings die Formulierungen Hamanns und nicht meine Kurzzusammenfassung. Nach schlagwortüberfrachtetem Schwärmen  über die Alternativschule schildert er seine Vorurteile gegenüber der ganz normalen Schule, immer in einem schönen Kontrast.
Dann wirft er Hamann auch noch vor, sie hätte sich doch bei der Schule darüber informieren können, was genau mit dem Satz auf der Internetseite gemeint sei:
„Wir nehmen keine Kinder, die länger als ein Jahr die Regelschule besucht haben“
Diesen Satz zitiert sie von der Homepage einer Alternativschule und zieht daraus ihre Schlussfolgerungen. Der Vorschlag Stögers: Sie hätte doch in der Schule anrufen können und fragen können, was denn mit dem Satz gemeint sei. Er selbst hat genau das für seinen Artikel allerdings auch nicht getan. Ich werde es auch nicht tun, weil erstens steht mein Blogeintrag nur auf meinem Blog und wird nicht gedruckt, und zweitens: so unklar ist der Satz auch wieder nicht. Eigentlich ist er ganz einfach verständlich: Scheinbar ist man der Überzeugung, dass ein Kind, das ein Jahr an der Regelschule erlebt und überlebt hat, für die Alternativschule verdorben ist.

Das war jetzt einmal die Einleitung, eine etwas längere Einleitung, aber gut. Nach einigen Jahren Nachmittagsbetreuungserfahrung und einigen ersten Klassen muss ich in die Diskussion etwas ganz anderes einbringen: Mal angenommen, die Kinder der alternativ denkenden Eltern(teile) kommen nach der alternativen Volksschule nicht auch in ein alternatives Gymnasium sondern in eine stinknormale AHS, oder - wir sind ja links - womöglich sogar in eine "Neue Mittelschule". Jedes jahr kommen an meine Schule um die 130 ehemalige VolksschülerInnen aus der Umgebung. Nach drei Mintuen kann man sie schon unterscheiden:
  • katholische Privatschule: Die Kinder können sich ausdrücken, können sich in eine Klassengemseinschaft einfügen und einbringen, zeigen Empathie und sind mit den neuen Freiheiten der AHS sehr zufrieden. Sie diskutieren gerne und oft, auch über Dinge, die eigentlich nicht zur Diskussion stehen.
  • irgendeine Volksschule: Die Kinder zeigen sehr unterschiedliche Auffassungsgabe, haben bereits alle Strategien und Techniken des Mobbings drauf und müssen einen verantwortungsvollen und respektvollen Umgang miteinander (ja, wir sind so eine komische Schule, die auf sowas wert legt) erst lernen - das schaffen aber die meisten sehr schnell. Viele sind allerdings noch mit der Tatsache überfordert, dass die Reizüberflutung nun auch außerhalb des Fernsehgerätes stattfindet, indem jede Stunde eine andere Lehrperson in der Klasse steht.
  • alternative Volksschule oder normale Volksschule mit alternativer Lehrerin: Die Kinder vermitteln jeden Tag aufs neue den Eindruck, als würden sie heute zum ersten Mal in ihrem Leben eine Schule von innen sehen, der Umstand, dass neben ihnen auch noch 24 andere im Klassenzimmer sitzen veranlasst sie zu keinerlei Verhaltensanpassung, sie sind kaum in der Lage einem Unterricht zu folgen und halten die Idee, dass man in der Nachmittagsbetreuung auch miteinander und nicht mit dem Handy spielen könnte für einen völlig abwegigen Gedanken verkalkter, alter LehrerInnen. Sie diskutieren nicht, sondern sie beharren auf ihrem Standpunkt und fühlen sich dann durch die autoritären Verhaltensweisen entmutigt, die sie damit provoziert haben.
So, das war jetzt zynisch und polemisch, verkürzt und übertrieben, gehässig und böse und natürlich über alle Maße einseitig, denn natürlich gibt es immer Ausnahmen und individuelle Nuancen. Um an den eingangs zitierten Stöger anzuschließen, müsste meine Schlussfolgerung jetzt lauten, baut doch noch zwei katholische Privatschulen und dann wird es schon passen - tut sie aber nicht. Die Schlussfolgerung lautet, dass Eltern (alle, nicht nur die alternativ denkenden) auf völlig andere Dinge achten sollten, was die Schulwahl betrifft.
  1. Individuelle Förderung ist gut. Spätestens nach der dritten Zwillingsgeburt ist es fast ein Muss, die Kinder in eine Alternativschule zu schicken. Das Einzelkind nach Mutter- und Vaterkarenz und der Förderung durch die Original-68er-Großeltern braucht da vielleicht etwas anderes. Kurz: ein Kriterium für Extremfälle, aber für das Durchschnittskind gibt es wichtigere Kriterien.
  2. Partizipation ist gut. Doch Kinder, die das zu Hause nicht lernen, werden es in einer noch so alternativen Alternativschule auch nicht lernen. Und solche, die im Elternhaus (hoffentlich altersgemäße und verantwortungskonforme) Mitsprache an Entscheidungsprozessen gewöhnt sind, die brauchen keine Alternativschule, um das zu lernen.
  3. Elitebildung: Für Kinder ist es in der Regel völlig egal, ob sie eine Elite bilden oder nicht, ihr schulisches Umfeld wird zum Teil ihrer Welt, sie werden das lernen, was sie brauchen, um dort zu bestehen - oder sie werden nicht bestehen. 
Kurz gesagt: Was sollen Kinder in der Schule lernen? - das ist die zentrale Frage, die sich die Eltern stellen sollten. Und da geht es nicht um die Lerninhalte, nicht einmal darum, welche Fächer. Dabei geht es um die eigentlichen Dinge, die Kinder lernen sollten: Kommunizieren, Wahrnehmen, Toleranz, Einfühlungsvermögen in andere, mit Unterschieden umgehen können, sich selbst organisieren, sich an Strukturen anpassen, auf andere Rücksicht nehmen und natürlich Denken und Hinterfragen, Offenheit und Neugierde.

Eine Volksschule, wo das Kind das lernt - und vielleicht ein bisschen mehr von dem, was es eben zu Hause nicht lernen kann - die ist die richtige Schule für das Kind. Und es geht in Wirklichkeit garnicht darum, ob der Schulträger ideologischer Freund oder Feind ist, ob Eltern(teile) den esoterischen Grundideen etwas abgewinnen können, oder nicht, und auch nicht darum, welche Muttersprachen prozentuell wie stark in der Schule vertreten sind. Es geht nur darum: wo bekommt das Kind die meisten Lernchancen - nutzen muss es sie sowieso selbst.