Immer wieder habe ich mir erlaubt, die Scheinheiligkeit derer zu kritisieren, die sich heute "links" nennen. Der Kernpunkt war dabei immer, dass konsequentes Durchdenken der eigenen Positionen in der "Linken" schon längst durch reflexartiges Zuschnappen und verlässliches Einnehmen der Gegenposition des "Feindes" abgelöst worden ist. Die letzten Wochen haben das wieder einmal hervorragend vor Augen geführt.
Eben haben sie noch - inspiriert durch ein europäisches Gerichtsurteil - das Abmontieren der Kreuze in den Klassenzimmern gefordert und das mit den üblichen Standardargumenten zu untermauern versucht, jetzt liegt ihnen das sicherlich an politischer Dummheit kaum zu überbietende Schweizer Abstimmungsergebnis über ein Minarettverbot plötzlich schwer im Magen.
Reihenweise haben sie die Facebook-Startseiten des gesamten Freundeskreises mit der Nachricht "... ist der Gruppe Raus mit den Kreuzen aus den Klassenzimmern beigetreten." gefüllt und genauso reihenweise tun sie jetzt ihr Entsetzen über das Schweizer Minarettverbot und die ohnehin obsolete Diskussion über die Möglichkeit, Ähnliches in Österreich einzuführen, lauthals und wortschwallig kund.
Islam-Bashing ist böse
Wir können uns sicherlich schnell darauf einigen, dass das pauschale Losgehen auf den Islam nicht der politischen Kultur entspricht, die wir uns alle - ob links oder rechts - wünschen würden, aber die wir alle - ob links oder rechts - selbst offensichtlich nicht haben.
Denn schon der zarte Versuch, diese Aussagen über den Islam ein wenig zu verallgemeinern und auch auf andere Religionen zu beziehen, scheitert an der einfachen Tatsache, dass sich unter diesen anderen Religionen neben schützenswerten Orchideen auch die Mehrheitsreligion Christentum befindet.
Es ist schon klar, dass mit dem Christentum für die meisten dieser Menschen tiefgreifende, persönliche Verletzungsgeschichten verbunden sind und verschiedenste Erfahrungen mit der Kirche in ihrer jeweilig erlebten Form diese ablehnende Grundhaltung durchaus verständlich machen können.
Diese Verletzungsgeschichten sitzen meistens noch so tief, dass die Diskussion gleich auf die historischen Greuel- und Schandtaten natürlich hauptsächlich der katholischen Kirche gelenkt wird. Niemand, der an einem ernsthaften Dialog interessiert ist, wird sich aber auf die Aufrechnerei von Kreuzzügen und Hexenverfolgung gegen Guillotine, Holocaust und Intifadas einlassen. Nichts von dem entspricht auch nur im geringsten der Glaubenslehre, auf die es zurückgeführt wird - wem das nicht in vollem Umfang klar ist, der sollte sich aus solchen Diskussionen schnellstens verabschieden.
Trennung von Staat und Kirche
Der nächste Versuch einer Flucht nach vorne ist die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche, oder - wie die wenigen Besonnenen unter den Dawkins-Jüngern formulieren - zwischen Staat und Religion. Dabei braucht man nicht einmal Böckenförde bemühen, um diese Forderung als eine kurzsichtige Hohlphrase aus ebensolchen Köpfen entlarven zu können. (Obwohl natürlich das Schildern des Scheiterns laizistisch verstandener Religionsfreiheit am Beispiel Frankreichs immer wieder ein Vergnügen ist).
Seit Böckenförde ist schon einmal klar, dass der Staat mit dem Instrumentarium, das ihm in einer freiheitlichen Rechtsordnung zur Verfügung steht, nicht in der Lage ist, die Voraussetzungen für das gesellschaftliche Zusammenleben zu schaffen. Wo ein Staat dies versucht, beschneidet er die Freiheit, die er seinen BürgerInnen eigentlich garantieren sollte.
Wer zu diesen Freiheiten auch die Religionsfreiheit zählt, wird sich über kurz oder lang nur mithilfe von Alkohol und Gras der Erkenntnis widersetzen können, dass eine Gesellschaft, in der Religionsfreiheit herrscht, schließlich aus Individuen bestehen wird, die auf die eine oder andere Weise und in unterschiedlichem Ausmaß religiös sind. Gut, zumal es noch nicht gelungen ist, eine vollkommen religionsfreie Gesellschaft ausfindig zu machen, wird man das jetzt nicht unbedingt als Folge der Religionsfreiheit sehen müssen - denn die Folge der Religionsfreiheit ist eine andere: Sie verpflichtet dazu, diese Religiosität auch zuzulassen.
Nun gehört der Aspekt der Gemeinschaft zu den Kernpunkten der meisten Religionen, folglich muss Religionsfreiheit auch die Bildung religiöser Gemeinschaften ermöglichen.
Die aus religiösen Individuen und Gemeinschaften bestehende Gesellschaft braucht nun grundlegende Regeln, wie sie mit religiöser Vielfalt umgeht. Sinnvollerweise wird sie diese finden, indem sie die Religionen, die zahlenmäßig am stärksten vertreten sind, in die Festlegung dieser Regeln einbindet und selbst zugleich Anwalt der numerisch Schwächeren wird.
Religionsfreiheit, aber...
Für alle religiösen Menschen und Gemeinschaften ist die Toleranz gegenüber andersgläubigen eine Herausforderung, die Balance zwischen eigener Glaubensüberzeugung und Offenheit für Andere fällt vielen schwer. Je gefestigter und institutionell gereifter eine Religion ist, desto eher gelingt es ihr, den Spagat zwischen eigenem Absolutheitsanspruch (den ja jede Religion hat) und dem Respekt für die Wege der Anderen mit einer gewissen Gelassenheit hinzulegen. Ein Vergleich zwischen Judentum, Christentum, Islam und Atheismus kann diese Faustregel schnell bestätigen: Während das Judentum Mission ablehnt ist die christliche Toleranz kaum ein halbes Jahrhundert alt; die vollkommen akoranische Interpretation des Djihad als bewaffneter Kampf zur Durchsetzung der Sharia ist im Islam zwar seit ein, zwei Jahrzehnten nicht mehr Common sense aber immer noch verbreitete Auffassung und der Atheismus, die jüngste der genannten Religionen, lässt jegliche Form von Respekt und Toleranz anderen gegenüber vollkommen vermissen und stellt sich gar nicht einmal als Religion dar, sondern als unumstößlich bewiesene Wahrheit, deren Bestreiten nur als Mangel an Geisteskraft erklärt werden darf.
Religionsfreiheit kann daher nur funktionieren, wenn die Gesellschaft - jetzt brauchen wir doch ein bisschen Böckenförde - die historisch gewachsenen und sich stetig veränderten religiösen Rahmenbedingungen zulässt, fördert und ihnen Raum gibt. Aufgabe des Staates ist es dabei, den Religionsgemeinschaften Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen und sie im öffentlichen Leben zu integrieren, ihre gesellschaftlichen und kulturellen Beiträge zu würdigen und allenfalls auch auf der Erfüllung ihrer Aufgaben zu beharren. Kein Land wird dabei seine eigene, religiöse Vorgeschichte ausblenden können und dürfen. Das Ungleichgewicht zwischen Traditions- bzw. Mehrheitsreligion (vor allem wenn eine Religion beides ist) auf der einen Seite und neuen und Minderheitsreligionen andererseits entsteht dabei zwangsläufig. Diese Spannung ist nicht nur auszuhalten, sondern sie ist sogar notwendig und man kann es durchaus als eine gewisse Erbsenzählermentalität werten, wenn das als Ungerechtigkeit empfunden wird.
Kreuze, Minarette ... who cares
In einem Diskussionsforum hat neulich ein User in Anlehnung an Bonhoeffer den Satz gepostet "Nur wer für Minarette schreit, darf für das Kreuz in Schulklassen eintreten". Ein Ansatz, der schon einmal in die richtige Richtung geht (obschon er eine gewisse Schwierigkeit mit sich bringt, denn die Steine die kleinen, orthodoxen Ordensgemeinschaften in den Weg gelegt werden, wenn sie ihr altes Kloster in Anatolien renovieren und beziehen wollen, können einen da schon in Argumentationsnot bringen; doch auch hier ist Gegenrechnen nicht der Weg zum Ziel und zudem folgt die Türkei ja einem ähnlichen Staatsgrundmodell wie Frankreich, was wie schon angedeutet einiges erklärt - wenn auch nicht rechtfertigt). Dieser Satz, der ein Engagement für die Religionsfreiheit anstelle eines Engagements zugunsten einer bestimmten Religion fordert, der freilich überfordert die selbsternannte Linke, die sich mehr dem eigenen Beißreflex als ihren hehren Prinzipien verpflichtet sieht. Eine Gesellschaft, die religiöse Vielfalt nicht ertragen kann, ist nämlich auch nicht reif für eine positive Religionsfreiheit und die oft geforderte, negative Religionsfreiheit - ich nenne sie lieber laizistische Religionsfreiheit - ist de facto keine.
Nicht nur, weil nahezu alle Religionen - vor allem das Christentum - die eigene, gesellschaftsprägende und gesellschaftstragende Funktion als unverzichtbaren Teil der Glaubenspraxis sehen, sondern auch weil jeder Staat und jede Gesellschaft letztlich genau darauf angewiesen ist, kann Religionsfreiheit nur in einem pluralistischen Sinn überhaupt verstanden werden. Jede andere Position ist letztlich inkonsequent und scheinheilig.