Sonntag, 1. November 2009

Neue Ethik - neue Spiritualität


Der ÖH an der Katholisch-Theologischen Fakultät ist diesem Herbst ein Coup gelungen, den ihr nicht so schnell jemand nachmachen können wird. Nach turbulenter Vorgeschichte holte man Leonardo Boff an die Uni - in Kooperation mit der DKA und der Schwestern-FV und mit den beiden Fakultätsleitungen. Dieser Blog hat schon vom Zustand des Hörsaals, der dafür vorgesehen war (der größte unserer Fakultät) berichtet, auch von der Übersiedlung in einen anderen Hörsaal. (Hier zur Illustration noch ein Bild von Hörsaal 47 [(C) Florian Mayr])
Krise und Co.
Der Vortrag begann wie der Auftritt eines Pop-Stars - man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Begeisterung der Massen (wie selten man dieses Wort für eine Veranstaltung an unserer Fakultät verwenden kann!) auch nicht gebrochen wäre, wenn Boff begonnen hätte "Alle meine Entlein" zu singen.
Anfangs war man fast geneigt, so etwas zu erwarten: Inhaltlich auf der Ebene eines mittelmäßig aufmerksamen Nachrichtenkonsumenten schilderte Boff die gegenwärtige Krise, oder besser, das gegenwärtige Krisenkonglomerat. Doch schon bald wurden die grauen Zellen wirklich gefordert und aus dem, was zuerst nach der Einstimmung auf ein Miss-America-Plädoyer für Weltfrieden klang, wurde handfeste Regierungskritik: Die Art und das Ausmaß der Krise im Verhältnis zum System wurden angefragt und erläutert - mit dem Schluss, dass jeder vernünftigen Systemtheorie nach diese Krise eine finale sein sollte, die dieses System in seinen Grundfesten erschüttert und infrage stellt. Ob das so stimmt und ob die Politik nicht gerade dafür verantwortlich ist, dass Opfer der Krise zu Systemerhaltern werden, das blieb leider offen und ist möglicherweise nur ein US-Amerikanisch-Europäisches Problem.
Relationen und Konsequenzen
Spannender wurde es ohnehin, als Boff begann, ein wenig "aus dem Nähkästchen" zu plaudern und das Auditorium an seinen Erfahrungen vor allem mit UN-Gremien teilhaben ließ. Die Perversität mancher Zahlenrelationen (etwa Rüstungsausgaben versus Hunger) bewusst zu machen war der nächste Schritt. Die Gaia-Hypothese von Lovelock eignet sich hervorragend dazu, diese Relationen zu einem ethischen Imperativ umzubauen und genau das tat Boff: Die Erde als lebender Organismus, der unter der parasitären Symbiose mit den Menschen leidet - Klimaerwärmung, Abfischung, Abholzung, ... - also doch eine Miss-America-Ansprache? Mitnichten!
Spirituelle Dimensionen
Wenn Religion als anthropologische Grunddimension gelten soll, dann müssen wir in der Lage sein,auch Spiritualität als eine im Menschen von Natur aus angelegte Verfasstheit zu definieren und zu beschreiben.
Spiritualität ist in jedem Fall die im Menschen verankerte Opposition zu Markt, Ausbeutung und Unterdrückung. Boff verdeutlichte, wie sehr es heute darauf ankommen würde, dass die gesamte Kirche, alle Kirchen und alle Religionen sich für die Pflege und Wiederentdeckung dieser menschlichen Dimension stark machen.
Auf dieser Ebene setzt Boff auch das ethisch-moralische Engagement an, das er für einen konstruktiven Ausgang dieser Krise für notwendig hält:
* Lösung vom Ohnmachtsgefühl des "Nichts-Tun/Bewirken-Könnens" durch eine Stärkung des Selbstbewusstseins: Wer sich selbst als Teil der Welt wahrnimmt, wird erkennen können, dass er zwar nicht die Welt ändern kann, aber einen Teil davon, der er selbst ist.
* Wahrnehmung von Zusammenhängen: Wenn ich mich selbst ändere, ändere ich alles, was mit mir zu tun hat - meine Umgebung wird anders.
Wir und die Welt
Das bringt mich zu den abschließenden Fragen: Die zentralen christlichen Werte von Solidarität mit den Armen, Schöpfungsverantwortung und Nachhaltigkeit wurden im Christentum im Laufe seiner Geschichte bisweilen vernachlässigt und u.a. zugunsten plumper Moral zurückgedrängt. Dass diese Werte heute nicht mehr nur christliche sind, sondern - eine kleine Anleihe bei Küng? - über die Grenzen von Religionen und Ideologien hinausgehen, das kann als Subtext des gesamten Vortrages gesehen werden. So gesehen muss man manchen Herrschaften dankbar sein, dass sie das in der Fragerunde noch einmal deutlicher herausgearbeitet haben.

(Leonardo Boff mit Franz Helm beim Vortrag im HS 33 der Universität Wien -

mit freundlicher Genehmigung der Fakultätsvertretung
; (c) P. Christian Tauchner)

Hinweis: Auf der Internetseite der Fakultätsvertretung Katholische Theologie der Universität Wien findet sich der Vortrag zum Nachhören!