Sonntag, 17. Januar 2010

Als Hedonismus getarnter Fatalismus

Fatalismus ist in unserer Leistungsgesellschaft etwas Unerwünschtes - Leute, die aussprechen, welche Maßnahmen im persönlichen wie im öffentlichen Leben eigentlich vollkommen wirkungslos sind, bremsen die Wirtschaft und werden als Pessimisten und Fatalisten in öffentlichen Diskursen an den Rand gedrängt. Eine andere Art von Fatalismus scheint sich allerdings höchster Beliebtheit zu erfreuen.

"Bereue nichts, wenn du in diesem Augenblick glücklich warst"
Nur einen kurzen Moment nachgedacht entpuppt sich die Aussage als ein Aufruf dazu, sein Leben zu versauen und es wegzuwerfen zugunsten von Augenblicken, in denen man glücklich ist. Ebenso könnte man einer suizidgefährdeten Person am Dach des Wolkenkratzers sagen, sie soll doch den freien Fall genießen, dieses unbeschreibliche Gefühl von Freiheit, dann wäre es schon in Ordnung, sich feig aus dem Leben zu stehlen. Ich spüre schon das Entsetzen, wenn diese Zeilen gelesen werden: "das kann man doch so nicht sagen" - "so ist das doch nicht gemeint" - "das kann man nicht vergleichen". Doch! Man kann, und ich bin der Meinung, man muss sogar.
In der Absolutheit der Formulierung rechtfertigt dieser Spruch eigentlich alles - alles, was in einer negativen Sicht von Hedonismus Platz hat. Die Botschaft ist so klar und eindeutig, dass es eigentlich schaurig ist, wie oft sie nicht gesehen und nicht verstanden wird.
  • Schalte dein Gewissen aus!
  • Schau nicht auf dein Leben, schau auf den Augenblick!
  • Denke nicht darüber nach, was du getan hast und vor allem
  • denke nicht darüber nach, was du tun wirst.
Anwälte und Therapeuten wollen schließlich auch von etwas leben, und wenn die Menschen keine Fehler mehr machen oder die Fehler, die sie gemacht haben, selbst bewältigen, dann würde das ziemlich knapp werden.
Der ständige Blick aufs Große und Ganze scheint außerdem sowieso auf die Dauer eine Überforderung zu werden, denn wer gewohnt ist, dass jeder brutale Fernsehkrimi alle viertel Stunden einmal eine Werbepause mit möglichst viel schönen Dingen hat, dem entgehen manche Zusammenhänge ganz selbstverständlich.

"Ich bin, wie ich bin - damit müsst ihr leben"
Da könnte man auf den ersten Blick meinen, dass es sich um eine flapsige, aber gut gemeinte Bestärkung des eigenen Selbstbewusstseins handelt. Und es ist schließlich nur eine Facebook-Gruppe mit gut 500 Mitgliedern. Die ideologische Schwesterngruppe "Ich bin so! Ich bleib so! Kommst du damit nicht klar dann verpiss dich!" zählt 12.000 Mitglieder. Der österreichische Popsänger Falco hat 1998 die dahinter stehende Geisteshaltung mit den Zeilen "Die ganze Welt dreht sich um mich, denn ich bin nur ein Egoist" beschrieben.
Es handelt sich nämlich hier garnicht um eine Stärkung des Selbstbewusstseins sondern um eine Ätiologie asozialen Verhaltens.
"Bleib, wie du bist - damit du wirst, wie du sein kannst" könnte man hier getrost als Gegenkonzept anführen: Sich selbst treu bleiben, seine Identität nicht aufgeben, und eben deshalb offen sein für Veränderung - genau das wird mit den zitierten Aussagen deutlich abgelehnt und durch ein Festbeißen in den status quo des eigenen Ichs ersetzt. Die modernen Ideale der ewigen Jugend sind ein Nährboden für diese Art von Erstarrung, Konservativismus und Traditionalismus. Das asoziale Verhalten ist die Frucht dieses Bodens und die aggressive Verteidigung des Selbstbewusstseins ist ein deutliches Zeichen dafür, dass dieses Selbstbewusstsein eigentlich fehlt - es wird ersetzt durch Äußerlichkeiten, die als Identitätsmerkmale herhalten müssen.
Das erfüllt natürlich einen doppelten Zweck: Zum einem werden diese Äußerlichkeiten damit nutzbar gemacht, zum anderen werden sie entschuldigt, wodurch eine eventuell notwendige Änderung abgeblockt wird - als ein Angriff auf die eigene Identität.
So begiebt man sich in eine Sackgasse der Persönlichkeitsentwicklung und während der Zahn der Zeit am Körper nagt, bleibt die Psyche dort gefangen und ist weit von der notwendigen Umkehr und Versöhnung entfernt, die aus der Sackgasse herausführen könnten. Dass es der Psyche dort dann ziemlich bald zu eng werden wird, darüber denkt man am Besten nicht nach.

Augenblicke gehören zum Ganzen, Veränderung gehört zum Leben
Jeder Augenblick ist Teil des ganzen menschlichen Lebens und Identität lässt sich nur in der Veränderung erhalten. Das klingt bei weitem nicht so reisserisch und populär, dabei können auch die einschlägigen Berufsgruppen nicht die Kassen klingeln hören und jene Menschen, die den unerkannten Fatalismus anderer ausnützen wollen, stehen auf verlorenem Posten. Doch kommt das der Wirklichkeit um einiges näher als die flotten Sprüche, die so breite Zustimmung finden. Und Platz für Hedonismus - wirklichen Hedonsimus - gibt es bei Weitem genug: Was ist größere Freude, als sich am ganzen Leben erfreuen zu können? Da kann jeder glückliche Augenblick einpacken. Was ist größere Freude, als in der Veränderung ganz selbst sein zu dürfen? Da ist stures Stillhalten doch mühsam dagegen.

Dienstag, 5. Januar 2010

Terror

terror, oris, m. (terreo) 1. Schrecken: externus vor auswärtigen Feinden (Livius); occ. Scheu (Christliche Texte); 2. meton. Schrecken, Schrecknis: imperii, caelestes maritimque am Himmel und im Meer (Livius); 3. Schreckensnachricht; terror affertur (Livius, Cortius Rufus).

terreo 2. ui, itus trans. 1. (er)schrecken, in Schrecken versetzen; pass. erschrecken = erschreckt werden; occ. 2. scheuchen, jagen: profugam per totum orbem (Ovid), ferras (Vergil); 3. abschrecken; mit ne, quominus.

So haben wir es gelernt - oder zumindest steht es so in unseren Schulwörterbüchern mit dem niedlichen Namen "Der kleine Stowasser".
Terror heißt also in erster Linie einmal Schrecken, als Ereignis in einem Augeblick auch Erschrecken, in der dauerhaften Form (wie die Verwendung bei Livius zeigt) ist Schrecken soetwas wie Angst und Furcht.

Auf diese Grundbedeutung des Wortes sollte man sich wieder einmal besinnen, denn aus gutem Grund wurde dieses Wort zuerst als Fremdwort, später als Lehnwort in unserer Sprache (wie auch in allen anderen, von denen ich ein bisschen Ahnung habe) für jene Gewaltakte etabliert, deren Urheber das Ziel verfolgen, Schrecken, Angst und Furcht zu erzeugen: entweder in der Bevölkerung, um die Politik damit unter Druck zu setzen, oder direkt bei einer beliebig großen Gruppe entscheidungsbefugter Personen.
Nun drängt sich mir eine Frage auf (und gleichzeitig Erstaunen darüber, dass diese Frage noch nicht von einer breiten Öffentlichkeit in Europa und den USA diskutiert wird):
Wenn der klügste Präsident der Geschichte der Vereinigten Staaten mit seinem Kampf gegen den Terror neben militärischen Aktionen dauerhafte Einschränkungen der persönlichen Freiheit verbindet, dann ist den meisten Menschen klar, dass er - sozusagen die Gunst der Stunde nutzend - massiv in die Bürgerrechte eingreift. Eine Frage, die ich bisher vermisse, ist allerdings, ob er damit nicht den Zielen des Terrorismus eigentlich eher zum Durchbruch verhilft, als den Terrorismus selbst zu bekämpfen. Da spricht einiges dafür:
Ein Terrorist oder eine Terrorgruppe können mit gezieltem Handeln eine gewisse Anzahl von Personen töten, Gebäude oder Gegenstände zerstören, allenfalls auch Infrastruktur über eine mittlere Zeitspanne lahmlegen. Das ist alles schrecklich, das steht außerhalb jeder Diskussion, und jeder Tote ist einer zu viel, denn sie alle sind Menschen mit Plänen für die Zukunft, mit Angehörigen und Freunden, denen durch den Verlust furchtbares Leid widerfährt. (Und - ein unvermeidlicher Nebensatz - wer allen Ernstes glaubt, dass dies durch die Lehren irgendeiner Religion rechtfertigbar sei, ist einfach nur dumm und wahrscheinlich selbst Fanatiker).
Das schaffen Terroristen, mehr ist ihnen nicht zuzutrauen. Den Rest der Arbeit erledigen in der Europäischen Union und in den Vereinigten Staaten die Politiker - die tragen Sorge dafür, dass sich Angst und Schrecken halten, dass sie zur Dauerinstitution werden.
Wer heute an einem Flughafen in der EU oder in den USA ein Flugzeug besteigt, ist potentieller Terrorist und wird auch so behandelt - und er sitzt im Flugzeug mit hunderten anderen potentiellen Terroristen. Es werden Taschen durchleuchtet, alles was größer ist als eine Zahnpastatube gilt als Terrorgefahr, und demnächst - daran habe ich keinen Zweifel - werden uns die Bediensteten des Sicherheitspersonals vollständig durchleuchten.
Damit ist doch eigentlich sichergestellt, dass Terror immer weitergeht, nie aufhört. Alleine hätten das die Terroristen nie geschafft.

Welche Botschaft sendet die terrorbekämpfende Politik damit an die Terroristen? Sagt man denen damit nicht: Wir haben Angst! Ihr habt eure Ziele erreicht! Wenn ihr uns noch mehr Angst macht, werdet ihr noch erfolgreicher sein!
Müsste nicht eigentlich die Botschaft von Politik an die Terrororganistationen lauten: Ihr habt keine Macht! Ihr könnt uns nicht in Angst und Schrecken versetzten! Wieviele Leute wollt ihr noch umbringen, bevor ihr einseht, dass ihr keine Chance habt? Wenn ihr berechtigte Anliegen habt, dann bringt sie vor! Schlagt Lösungen vor, redet! Menschen aus dem Leben zu reißen wird euch euren Zielen keinen Schritt näher bringen!

Wie das gehen soll, das weiß ich auch nicht. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es vertretbar wäre, die Sicherheitskontrollen zurückzufahren. Aber es ist auch nicht vertretbar, sich von Terroristen vor sich her treiben zu lassen.

Philosophen, Politiker und Theologen aller Weltreligionen sollten einen breiten Diskurs darüber anzetteln, wie man dem Terror begegnen kann, anstatt ihm zum Durchbruch zu verhelfen.