Kardinal Schönborn hielt im März eine Predigt in Jerusalem und resümierte, Europa habe in den letzten 40 Jahren drei Mal "Nein" zum Leben gesagt.
Jedes dieser drei "Nein" würde eine Diskussion verdienen, doch bei zweien sprechen gute Gründe dagegen: In der Debatte um die Homosexualität steht die Formulierung "Nein zum Leben" auf verlorenem Posten, denn kein Verfechter dieser Meinung konnte bisher schlüssig erklären, worauf die Annahme gründet, dass Homosexuelle massenhaft Kinder in die Welt setzen würden, wären sie nur nicht homosexuell. Die Abtreibungsproblematik diskutiert man ohnehin ungern, denn jede Meinungsäußerung dazu ist eine zu viel - insbesondere, wenn man eine Meinung vertritt, die sich mit keiner der Extrempositionen deckt: damit macht man sich zum Feind beider Lager und das kann gefährlich werden.
So muss das dritte "Nein" herhalten, um den Kardinal wieder einmal ins Rampenlicht einer Debatte zu zerren.
Humanae Vitae
Selten gab es eine Enzyklika, die eine Wirkung hatte wie Humanae Vitae: vom Ausmaß her überwältigend, von der Art her aber alles andere als positiv. Während Kommissionen noch an der Umsetzung des Konzils arbeiteten, hat die Entscheidung für diesen Text die Arbeit zum Teil schon wieder zunichte gemacht, bevor sie abgeschlossen war. Dabei hätte es einen anderen Text gegeben, der von der Vorbereitungskommission nach jahrelangen Arbeiten erstellt worden war. Das ist schon Grund genug, um über den Text alles andere als erfreut zu sein. Die mediale Aufregung, durch Statements von Hardlinern noch angeheizt, tat das Übrige, um die Kirche gesellschaftspolitisch im Abseits zu parken.
Mariatroster Erklärung
30 Bischofskonferenzen haben Erklärungen abgegeben, die - so wird es meist dargestellt - die Enzyklika abschwächen würden. Im Grunde taten die Erklärungen in den meisten Fällen aber nur eines: sie boten eine Übersetzung Vatikanisch-Volkssprache.
In einem Interview hat Franz Kardinal König, damals Vorsitzender der Bischofskonferenz, von einem Gespräch mit Paul VI. erzählt, bei dem dieser wenig Verständnis für die Aufregung rund um HV zeigte, weil doch die medizinische Anwendung der Pille ohnehin nicht verboten sei.
Damit ist deutlich, dass inhaltlich die Mariatroster Erklärung kaum mehr ist als die Übersetzung typisch kirchenhierarchischer Denkung in volkssprachliche Direktheit: das Gewissen der Eheleute ist die höchste Instanz in dieser Frage.
Sündige Bischöfe?
Wenn das Stichwort "Gewissen" fällt, sollte man immer Gaudium et spes mithören. So kommt man nun zum theologischen Problem hinter der Mariatroster Erklärung: der Frage nach der Autorität des Gewissens und der Autorität des kirchlichen Lehramtes. Oberflächlich betrachtet könnte man überspitzt formulieren: Es geht hier um ein Match II. Vatikanum gegen I. Vatikanum. Dabei möchte wahrscheinlich kein Theologe Schiedsrichter sein, denn einen solchen Widerspruch zwischen zwei kirchlichen Lehren darf es doch nicht geben: Es gibt ja keine neue dogmatische Lehre, sondern eigentlich immer nur die Auslegung, Festschreibung, Bekräftigung und Wiederholung alter Lehren. Damit kommen wir bis hier her und nicht weiter.
Gewissen gestrichen?
Wer Diskussionen um solche Fragen in den Medien verfolgt, bekommt den Eindruck, dass das Gewissen schon längst wieder aus der Dogmatik gestrichen wurde, oder besser: die lehramtlichen Texte buchstabieren dem Gewissen vor, zu welchen Entscheidungen es zu kommen hat, um nicht als "irrendes Gewissen" gebrandmarkt zu werden.
Sieht man auf diese Texte, so lassen die einen oft ratlos zurück: die theologischen Argumentationen sind nicht zwingend, vielmehr werden biblische Einzelverse steinbruchartig als Beleg für partikuläre Meinungen herangezogen und manch ein Dokument kann schon einmal den Eindruck vermitteln, es würden mehr Parolen skandiert als Argumentationslinien erklärt.
Zudem haben Formulierungen wie in HV15 (Zulassung der Pille zum medizinischen Gebrauch, wenn die verhütende Wirkung nicht Ziel der Einnahme ist) in lehramtlichen Texten Schule gemacht: Im Bereich lebensethischer Fragen gibt es kaum eine Enzyklika, die nicht ein derartiges Schlupfloch enthält. (Donum vitae mag hier vielleicht als Ausnahme gelten.) Solche Formulierungen sind in zweierlei Hinsicht interessant: zum Einen, da sie inhaltlich den Vorbehalt der Letztentscheidung des Gewissens doch noch ernst zu nehmen scheinen, zum Anderen, da sie auch bei noch so entschiedener Formulierung einen Spalt offen lassen, offensichtlich für findige TheologInnen.
Fad, fad, fad, fad
Damit sind alle möglichen Fragen angerissen und in gutkirchlicher Manier das eigentliche Thema unbesprochen: Das "Nein" zum Leben durch die Erklärung "sündiger Bischöfe" in Mariatrost.
Warum? - Weil die Kirche-und-Verhütung-Diskussionen schon zu langweilig geworden sind, um ihnen noch Artikel zu widmen! Weil es kein "Nein" zum Leben gibt, sondern nur ein "Ja" zum Gewissen! Weil wir Leben nicht mit negativen, ablehnenden Strategien fördern können, sondern nur durch positive, die christliche Werte fördern statt durch Verbote erzwingen wollen.