Kurioserweise sind es immer die atheistischen Facebook-Freunde, die evangelikalen Spinnern und religiösen Fundamentalisten überhaupt Aufmerksamkeit schenken. Dazu hätte ich auch so meine Theorien, aber die sind nicht veröffentlichungstauglich.
Man hat mich via FB-Startseite darauf aufmerksam gemacht, dass in etwa 26 Stunden der Weltuntergang beginnt, wenn es nach den Thesen eines evangelikalen, fundamentalistischen Radio- und Fernsehpredigers aus den USA geht.
Als vernünftige Erklärung dafür kann ich nur die Beobachtung anbieten, dass im Fundamentalismus die Bibel alles ist, nur nicht Heilige Schrift - deshalb darf man sie für alles verwenden und muss ihr auch keinen Respekt entgegenbringen, wie er einer Heiligen Schrift gebühren würde.
Aber das führt vom Thema weg: Also, ich seh das völlig klar: Also es sieht so aus: Irgendwie lässt sich 277245624 in 5273556347837 umrechnen, wenn man es mit dem letzten, fehlenden Vers von Gen 44 multipliziert, der bei einer Verschwörung des Papstes gegen Leonardo da Vinci aus der Bibel gestrichen wurde.
Wer das jetzt nachgerechnet hat, ist dem Weltuntergang schon 7 Minuten näher, diese Zahl sieben muss er nun in das US-Amerikanische Metrik-System umrechnen, wo dann ungefähr anderthalb mal 12 rauskommt. Nachdem dieses Ergebnis nicht richtig ist, sondern verkehrt, muss man die Ziffern natürlich umdrehen, weswegen der Weltuntergang an einem 21. stattfindet.
Klar soweit?
Wenn man nun den teuflischen Weltuntergang mit der Zahl 666 beachtet, davon zwei Mal diese Zahl subtrahiert, dann kommt man auf 624 und passionierte SMS-VerfasserInnen wissen sofort, dass damit Mai gemeint sein muss.
Multipliziert man dann das Datum der Inbetriebnahme der Arche Noahs (die Bibel kann natürlich auch als Typenschein für ein Wasserfahrzeug dienen!) mit dem zahlenwert des US-amerikanischen Wortes für Heiligkeit auf einer klassischen Handy-Tastatur und teilt das Ergebnis durch die Zahl der bisherigen Weltuntergänge dann kommt man schon irgendwie auf das Jahr 2011.
Besonders interessant ist die Tatsache, dass diesmal ein genauer Ablauf des Weltunterganges mitgeliefert wird. Es wird ein Erdbeben sein und das beginnt lustigerweise an der (mehr oder weniger willkürlich von Menschen festgesetzten) Datumsgrenze - um 18 Uhr und pflanzt sich von Zeitzone zu Zeitzone fort. Wenn in einem Land Sommerzeit ist, dann beeilt sich das Erdbeben ein bisschen und wenn in einem anderen Land keine Sommerzeit ist, dann wartet es geduldig an der Grenze der Zeitzone.
Natürlich könnte man auch was sinnvolles mit den letzten 26 Stunden anfangen, aber ich fand das gerade lustig.
Freitag, 20. Mai 2011
Montag, 25. April 2011
Menschen sind keine Privatsache
Die ermüdende ewige Widerkehr des Gleichen, wie sie der Religionskritiker Friedrich Nietzsche beklagt hatte, hat heute die Fraktion der AtheistInnen befallen: Wieder einmal wird mit Kreuzzügen und Hexenprozessen politische Argumentation vorgetäuscht. Das einzig Neue daran ist der offensichtliche Versuch, aus dem psychischen und physischen Leid von Missbrauchsopfern politisches Kleingeld zu schlagen. Das ist auch erlaubt, denn die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe - die durch den Missbrauch genau von jenen verletzt wurden, von denen man eigentlich erwarten darf, dass sie nach immer besserer Erfüllung dieser Gebote trachten - gelten für AtheistInnen natürlich nicht.
Trotzdem mutet es etwas seltsam an, dass beim Internetauftritt des aktuell laufenden Volksbegehrens unter der Rubrik "Kirchenprivilegien" sobald man den Mauszeiger daraufführt als erster Punkt "sexueller Missbrauch" aufgelistet ist. Da muss man schon einmal klarstellen, was den InitiatorInnen der Sache offensichtlich nicht geläufig ist:
Sexueller Missbrauch ist kein Privileg - es ist ein Verbrechen!
Ich muss gestehen, ich weiß nicht, ob es in der Geschichte der Menschheit irgendwann ein politisches System gab, bei dem es ein Privileg des sexuellen Missbrauchs gegeben hat. Wahrscheinlich denke ich da aber auch schon wieder zu viel nach, vermutlich hat nur jemand aus irgendeiner Robin-Hood-Film-Parodie die Geschichte mit dem ius primae noctis noch im Gedächtnis gehabt.
Viel Nachzudenken ist in der Auseinandersetzung mit dem Laizismus ohnehin nicht die richtige Herangehensweise. Bekannt ist, dass der Laizismus bei seinem Verständnis der Religionsfreiheit dem Modell der negativen Freiheit folgt. Die so definierte negative Religionsfreiheit lässt sich auf den Satz - oder besser: die Parole - bringen: Religion ist Privatsache!
Das Judentum, eine der ältesten noch praktizierten Religionen, ist Sache des Volkes - keine Privatsache.
Das Christentum ist zutiefst auf Gesellschaft und Gemeinde ausgelegt - keine Privatsache.
Der Islam kennt diese Unterscheidung überhaupt nicht, im Gegenteil entwickeln gerade die dominanten Richtungen regelrechte Gottesstaaten mit eigenem religiösen Rechtssystem - keine Privatsache.
Wenn die vielen verschiedenen Einzelreligionen, die wir gerne unter dem Begriff Hinduismus zusammenfassen, eine große Gemeinsamkeit haben, dann ist es die Vorstellung, dass Religion den gesamten Alltag prägt, bis hin zum geschlossenen Gesellschaftssystem des Kastenwesens - keine Privatsache.
Mag sein, dass man aufgrund der Tatsache, dass vom Buddhismus die ausgeprägte Individualeschatologie meist das einzige ist, das wir im Westen vom Buddhismus kennen, hier Zweifel aufkommen - aber ein Blick auf das ethische Kernstück des Achtfachen Pfades genügt, um zu sehen, auch Buddhismus keine Privatsache.
Die römischen und griechischen Polytheismen, die allesamt brutal ausgerotteten Urreligionen der arabischen Halbinsel, die indigenen Religionen Lateinamerikas, alle zusammen sind/waren sie alles andere als Privatsache.
Schon möglich, dass die Aussage "Religion ist Privatsache" auf den Glauben einzelner Esoterik-Shop-KundInnen zutrifft, damit hat sichs aber auch schon wieder.
Wer also postuliert: "Religion ist Privatsache" greift damit in den Glauben der Religionen ein, indem er ihren Glauben ganz oder teilweise inhaltlich regulieren will - und das kann man mir beim besten Willen nicht als Religionsfreiheit verkaufen.
Davon abgesehen: Religion gehört zu den Menschen und Menschen sind keine Privatsache, zumindest nicht in der Staatsform der Republik - der res publica.
Trotzdem mutet es etwas seltsam an, dass beim Internetauftritt des aktuell laufenden Volksbegehrens unter der Rubrik "Kirchenprivilegien" sobald man den Mauszeiger daraufführt als erster Punkt "sexueller Missbrauch" aufgelistet ist. Da muss man schon einmal klarstellen, was den InitiatorInnen der Sache offensichtlich nicht geläufig ist:
Sexueller Missbrauch ist kein Privileg - es ist ein Verbrechen!
Ich muss gestehen, ich weiß nicht, ob es in der Geschichte der Menschheit irgendwann ein politisches System gab, bei dem es ein Privileg des sexuellen Missbrauchs gegeben hat. Wahrscheinlich denke ich da aber auch schon wieder zu viel nach, vermutlich hat nur jemand aus irgendeiner Robin-Hood-Film-Parodie die Geschichte mit dem ius primae noctis noch im Gedächtnis gehabt.
Viel Nachzudenken ist in der Auseinandersetzung mit dem Laizismus ohnehin nicht die richtige Herangehensweise. Bekannt ist, dass der Laizismus bei seinem Verständnis der Religionsfreiheit dem Modell der negativen Freiheit folgt. Die so definierte negative Religionsfreiheit lässt sich auf den Satz - oder besser: die Parole - bringen: Religion ist Privatsache!
Das Judentum, eine der ältesten noch praktizierten Religionen, ist Sache des Volkes - keine Privatsache.
Das Christentum ist zutiefst auf Gesellschaft und Gemeinde ausgelegt - keine Privatsache.
Der Islam kennt diese Unterscheidung überhaupt nicht, im Gegenteil entwickeln gerade die dominanten Richtungen regelrechte Gottesstaaten mit eigenem religiösen Rechtssystem - keine Privatsache.
Wenn die vielen verschiedenen Einzelreligionen, die wir gerne unter dem Begriff Hinduismus zusammenfassen, eine große Gemeinsamkeit haben, dann ist es die Vorstellung, dass Religion den gesamten Alltag prägt, bis hin zum geschlossenen Gesellschaftssystem des Kastenwesens - keine Privatsache.
Mag sein, dass man aufgrund der Tatsache, dass vom Buddhismus die ausgeprägte Individualeschatologie meist das einzige ist, das wir im Westen vom Buddhismus kennen, hier Zweifel aufkommen - aber ein Blick auf das ethische Kernstück des Achtfachen Pfades genügt, um zu sehen, auch Buddhismus keine Privatsache.
Die römischen und griechischen Polytheismen, die allesamt brutal ausgerotteten Urreligionen der arabischen Halbinsel, die indigenen Religionen Lateinamerikas, alle zusammen sind/waren sie alles andere als Privatsache.
Schon möglich, dass die Aussage "Religion ist Privatsache" auf den Glauben einzelner Esoterik-Shop-KundInnen zutrifft, damit hat sichs aber auch schon wieder.
Wer also postuliert: "Religion ist Privatsache" greift damit in den Glauben der Religionen ein, indem er ihren Glauben ganz oder teilweise inhaltlich regulieren will - und das kann man mir beim besten Willen nicht als Religionsfreiheit verkaufen.
Davon abgesehen: Religion gehört zu den Menschen und Menschen sind keine Privatsache, zumindest nicht in der Staatsform der Republik - der res publica.
Freitag, 1. April 2011
Gerechtigkeitsempfinden?
Jetzt einmal ein Wort zu Gaudium et spes 16, der Gewissensbildung und dem Gerechtigkeitsempfinden - oder genauer gesagt, zum Unrechtsbewusstsein.
Vorher ein Vorwort: Ich habe mich gerade mit Ekel vom Fernseher abgewandt, wo ein deutscher Billigkrimi lief, in dem die Tochter einer untreuen Ehefrau ihrem Brüder wüste Vorwürfe an den Kopf geworfen hat, weil er zusammen mit dem Vater beider zur Aufdeckung des außerehelichen Verhältnisses der Mutter beigetragen hat. Für die Schwester stand außer Zweifel, dass es die Handlungen ihres Bruders waren - und nur die -, die zur Familientragödie führten, die den Stoff für den Kriminalfall lieferte.
Wundert mich das? Nein. Aber es ekelt mich trotzdem immer wieder an.
Ich sollte es ja kennen, vor allem in meinem Beruf. Für viele SchülerInnen besteht auch nicht der geringste Zweifel daran, dass die LehrerInnen für schlechte Noten verantwortlich sind, weil schließlich sind sie es ja, die diese Noten unter die Schularbeiten schreiben. Ebenso steht außer Frage, dass es die LehrerInnen sind, die als VerfasserInnen von Klassenbucheintragungen die Verantwortung für diverse Sanktionen haben, die dann völlig ungerechtfertigterweise die armen SchülerInnen treffen.
Aber man sollte in der Sache nicht zu sehr auf die SchülerInnen abzielen, sie könnten es ja theoretisch noch lernen - wenn man ihnen durch moderne Pädagogik nicht die Möglichkeit dazu genommen hätte und dem Unterrichtsfach, das sich als Relikt früherer Zeiten eventuell noch für solche Lernprozesse anbieten würde, durch ideologieverblendete, altkommunistische Schulpolitik jegliche Wertschätzung verweigern würde und durch ersatzlose Streichbarkeit jegliche Relevanz absprechen würde. Die vielen "wenn" und die ebensovielen Konjunctiva irreales zeigen schon, dass die SchülerInnen, die es trotzdem schaffen, höchste Bewunderung verdienen.
Die Erwachsenen sind da um kein bisschen besser - zwar ist es heute noch teilweise eine Frage des Bildungsniveaus, aber aus Zeiten, wo ich mich noch mit dem intellektuellen Prekariat abgeben musste, ist mir noch ausführlich die Schilderung einer Anhaltung wegen Schnellfahrens in Erinnerung, bei der auch kein Zweifel aufkommen konnte, dass die Schuld für die verhängte Strafe exklusiv beim amtshandelnden Polizisten zu suchen sei.
Wo kämen wir denn da hin, wenn sich jemand für seine Handlungen selbst verantwortlich fühlen müsste. Sowas machen doch nur Schwächlinge, Modernisierungsverlierer, altmodische Schrullis - wie unser Herr Erzbischof sagen würde - und jämmerliche Opfer - wie heutige SchülerInnen sagen würden.
Vorher ein Vorwort: Ich habe mich gerade mit Ekel vom Fernseher abgewandt, wo ein deutscher Billigkrimi lief, in dem die Tochter einer untreuen Ehefrau ihrem Brüder wüste Vorwürfe an den Kopf geworfen hat, weil er zusammen mit dem Vater beider zur Aufdeckung des außerehelichen Verhältnisses der Mutter beigetragen hat. Für die Schwester stand außer Zweifel, dass es die Handlungen ihres Bruders waren - und nur die -, die zur Familientragödie führten, die den Stoff für den Kriminalfall lieferte.
Wundert mich das? Nein. Aber es ekelt mich trotzdem immer wieder an.
Ich sollte es ja kennen, vor allem in meinem Beruf. Für viele SchülerInnen besteht auch nicht der geringste Zweifel daran, dass die LehrerInnen für schlechte Noten verantwortlich sind, weil schließlich sind sie es ja, die diese Noten unter die Schularbeiten schreiben. Ebenso steht außer Frage, dass es die LehrerInnen sind, die als VerfasserInnen von Klassenbucheintragungen die Verantwortung für diverse Sanktionen haben, die dann völlig ungerechtfertigterweise die armen SchülerInnen treffen.
Aber man sollte in der Sache nicht zu sehr auf die SchülerInnen abzielen, sie könnten es ja theoretisch noch lernen - wenn man ihnen durch moderne Pädagogik nicht die Möglichkeit dazu genommen hätte und dem Unterrichtsfach, das sich als Relikt früherer Zeiten eventuell noch für solche Lernprozesse anbieten würde, durch ideologieverblendete, altkommunistische Schulpolitik jegliche Wertschätzung verweigern würde und durch ersatzlose Streichbarkeit jegliche Relevanz absprechen würde. Die vielen "wenn" und die ebensovielen Konjunctiva irreales zeigen schon, dass die SchülerInnen, die es trotzdem schaffen, höchste Bewunderung verdienen.
Die Erwachsenen sind da um kein bisschen besser - zwar ist es heute noch teilweise eine Frage des Bildungsniveaus, aber aus Zeiten, wo ich mich noch mit dem intellektuellen Prekariat abgeben musste, ist mir noch ausführlich die Schilderung einer Anhaltung wegen Schnellfahrens in Erinnerung, bei der auch kein Zweifel aufkommen konnte, dass die Schuld für die verhängte Strafe exklusiv beim amtshandelnden Polizisten zu suchen sei.
Wo kämen wir denn da hin, wenn sich jemand für seine Handlungen selbst verantwortlich fühlen müsste. Sowas machen doch nur Schwächlinge, Modernisierungsverlierer, altmodische Schrullis - wie unser Herr Erzbischof sagen würde - und jämmerliche Opfer - wie heutige SchülerInnen sagen würden.
Donnerstag, 10. Juni 2010
Märchenprinz und andere Syndrome
Überkommene Idealvorstellungen jenseits jeglicher Plausibilität und der Privatfernseh-Mischmasch aus Sozialpornos, Soaps und US-Serien fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen, das die aktuellen Geschlechterrollenkonstruktionen für die nächsten Generationen weiterschreibt und die Beziehungsfähigkeit der Menschen nachhaltig beeinträchtigt.
Märchenprinzen, weiße Pferde und Kutschen
Vereinfacht dargestellt lief die Mädchenerziehung in Sachen Beziehungen jahrhundertelang nach dem selben Schema ab: Spätestens ab dem vierten Lebensjahr hörten die Mädchen Geschichten von Märchenprinzen, die später dann etwas abgestuft zu "der Richtige" werden.
Dieser "Richtige" würde sich dann unverzüglich als solcher zu erkennen geben, oder gar von den Eltern als solcher identifiziert werden. Und: er setzt idealtypische Vorstellungen in die Tat um, wird also Papas kleine Prinzessin zu seiner Königin machen.
Je besser es der Erziehung gelang, diese Vorstellung nachhaltig den Töchtern einzuprägen, umso leichter fiel es in der heißen Phase der Erziehung, selbige vor dem jugendlichen Überschwang der heranreifenden Männerwelt zu beschützen.
Unangenehme Nebeneffekte wie die Tatsache, dass zwangsläufig die erste halbwegs ernsthafte Teeniebeziehung dann mit dem tief verankerten Bild vom Märchenprinz in Verbindung gebracht werden muss und das notwendige, unausweichliche Zerbrechen dieser Beziehung zu einem kaum überwindbaren psychologischen Schaden führen würde, wurden dabei billigend in Kauf genommen.
So funktionierte es - und es funktionierte schlecht. Doch das schien jahrhundertelang kaum jemanden zu stören. Wenn dann nämlich Märchenprinz Nummer zwei oder drei ein weißes Pferd und eine Kutsche anmietete, väterlichen Segen erwarb, dann konnte man doch in das königliche Schloss einziehen, nicht wahr?
Verliebt in Anna und Berlin in guten wie in schlechten Zeiten?
Doch das ist alles Unsinn und Märchen aus der Vergangenheit! Wer glaubt denn heute noch so einen Mist?
Zu viele Menschen tun das, leider. Zwar haben die gesellschaftlichen Umbrüche nach dem II. Weltkrieg vor allem in westlichen Gesellschaften geschickt die Verknotung von Märchenprinzen und Geschlechtsverkehr aufgelöst, was ja unbedingte Voraussetzung für die "freie Liebe" war, zu der alle, die nach 1955 geboren wurden, heillos zu spät kamen. Davon einmal abgesehen hat sich allerdings wenig verändert.
Das Mitleben und Mitleiden mit literarischen Figuren ist dabei nicht die Neuigkeit - das schaffte man schon im griechischen Theater. Die Verwendung von darstellendem Spiel als Vehikel für moralische Botschaften über Lebenskonzepte, Vorstellungen davon, was richtig und falsch ist, vor allem aber für die Vorstellung vom geglückten Leben ist ebensowenig neu wie originell.
Dass die gesellschaftlichen Bedingungen der Zeit in die Handlung eingearbeitet werden, ist auch nicht neu - mit der Darstellung einer stutenbissigen Karrierefrau hätte man halt in der Antike, sagen wir, das Genre verfehlt. Stellt sich die Frage: sind die Handlungen neu? die Handlungsverläufe, die Gestaltungsprinzipien? Nein, nichts ist neu. Wie schon immer, kommt der normale, durschnittliche und vor allem vernünftige Mensch nicht vor - und der "Hausverstand" ist ins Werbefernsehen abgewandert.
Oberschichtenromantik (nicht nur wegen der Fallhöhe) wird im Unterschichtenfernsehen dem bildungs- und moralfernen Publikum vorgeführt und mit moralischen Botschaften von Menschen, die selbst keine Haltung, kein Ethos besitzen, gewürzt. Unter der Oberfläche findet unbemerkt von Autoren, Aktueren und Publikum die postbutlersche Rekonstruktion von Geschlechterrollen aus dem viktorianischen Zeitalter statt. Verschleiert wird das durch die Einbeziehung moderner Grundtypen: Karrierefrauen kommen ebenso selbstverständlich vor wie homosexuelle Männer (Lesben sind da eher nicht gefragt, Ausnahmen aus den Frühneunzigern bestätigen die Regel) - und natürlich AlleinerzieherInnen, Patch-work-Konstellationen aller Art.
Überspitzt könnte man fast sagen: hat man einen Schwulen im Programm, fällt keinem mehr auf, wenn man mit dem selben Programm extrem konservative Wertvorstellungen vermittelt und propagiert.
Sex and the Hospital
Serienhits von Heute kommen ohne Sex und Ärzte nicht aus. Was in den 90ern die Anwälte waren, sind jetzt die Ärzte. Die Botschaften sind die selben: Hab einen coolen Beruf, dann hast du viel Sex. Viel und guten Sex zu haben ist Ziel, Zweck und vielleicht sogar überhaupt Rechtfertigungsgrund für das Dasein. Sexualität wird zum Grundbedürfnis, dessen Befriedigung Priorität vor allen anderen Gründbedürfnissen hat. Und: Am Ausmaß dieser Befriedigung wird persönlicher Erfolg gemessen, nicht nur das, auch soziale Kompetenz. Die wirklich angsehenen Rollen in diesen Serien haben die Akteure, die mit den Worten "Ich brauch jetzt Sex!" sich den oder die Nächstbeste schnappen und mit ihr in einem Medikamentenlager verschwinden.
Auf der anderen Seite ist es natürlich höchst bedeutsam, wer, mit wem, wann, warum und sogar wo sexuelle Begegnungen hat. Das liefert Gesprächsstoff und hält die meist schwache Dramaturgie am Laufen, die sonst wahrscheinlich pro Folge eine unüberschaubare Menge von höchstdramatischen Einzelschicksalen benötigen würde, um irgendwie Spannung aufzubauen.
Am Rande sei natürlich auch erwähnt, dass diesen Serien-Sex, der natürlich nur in der Form der Mauerschau vorkommt, meist die Akteure haben, die jung, schlank und gemäß der aktuell von der Medienwelt propagierten Vorstellungen gutaussehend sind. Ausnahmen dienen lediglich zur Erzielung eines kurzen Lacheffekts.
Reality: Sozialpornos
Was die Ärzte können, können die Unterschichten in den Plattenbauten schon längst! Ob bei Teenager werden Mütter oder sonst wo, man weidet sich an den sozialen, sprachlichen und intellektuellen Defiziten der bildungsfernen Schichten. Doch nicht genug, die finden das auch selbst noch höchstinteressant und begeistern sich für die Sendungen - möglicherweise, weil sie Menschen sehen, die irgendwie sind wie sie, aber halt noch ein bisschen schlechter.
Längst ist offenbar geworden, dass hinter diesen Sendungsformaten die Ergötzung an der Unzulänglichkeit anderer steht, die vielen Menschen oft die einzige Möglichkeit ist, sich von der eigenen abzulenken. Nur logisch, dass immer mehr Sendungen darauf abzielen, diese Menschen "herzurichten" wie sie nach Vorstellung der RedakteurInnen gehören.
Die Frage, was diese Menschen mit den schillernden Persönlichkeiten aus den Ärzteserien zu tun haben, lässt sich auf den zweiten Blick relativ leicht beantworten: sie sind das Gegenbild, der Kontrapunkt, das abschreckende Beispiel.
Der neue Mensch?
Die Wertevermittlung durch die Medien scheint auf Hochtouren zu laufen und sie funktioniert sowohl direkt wie auch sublim durch das Festsetzen von Idealvorstellungen. Zusammengefasst und ein bisserl weniger zynisch als hier im Blog findet man dieses Ergebnis in einem Essay von Clemens Berger: Suche nach neuen Menschen. Wenn auch sperrig, durchaus lesenswert!
Jetzt, so könnte man meinen, würde sich herausstellen, dass der zentrale Wert, der hier vor allem bei den Unterschichten ankommen müsste, doch eigentlich die Bildung wäre, die den deutlichen Unterschied zwischen den DoktorInnen bei Greys Anatomy und den Müttern und Großeltern bei Teenager werden Mütter ausmacht.
Doch: falsch gedacht. Der Wert der Bildung ist der breiten Masse immer noch gänzlich unbekannt. Die Message, die ankommt, ist auch nicht Liebe, Menschlichkeit und Verständnis - sieht man von den leicht durchschaubaren Nischenprodukten aus evangelikalem Umfeld einmal ab. Was ankommt ist: Sex. Und zwar: guter Sex.
Guter Sex
Relativ deutlich zeichnet sich aus allen Medienprodukten ab, was "guter Sex" ist. Das mag vielleicht daran liegen, dass sich die unterschiedlichsten DrehbauchfabrikantInnen zwar nicht darauf einigen können, was gute Bildung ist, was ein gelungenes Leben ist, ... aber: darüber, was guter Sex ist, darüber sind sich fast alle Serien einig:
Gravierender als all das zusammen ist eigentlich nur mehr die Tatsache, dass dieses Wertediktat auch an hochgebildeten, differenziert denkenden und sensiblen Menschen durchaus Wirkung zeigt - verherende, manchmal.
Märchenprinzen, weiße Pferde und Kutschen
Vereinfacht dargestellt lief die Mädchenerziehung in Sachen Beziehungen jahrhundertelang nach dem selben Schema ab: Spätestens ab dem vierten Lebensjahr hörten die Mädchen Geschichten von Märchenprinzen, die später dann etwas abgestuft zu "der Richtige" werden.
Dieser "Richtige" würde sich dann unverzüglich als solcher zu erkennen geben, oder gar von den Eltern als solcher identifiziert werden. Und: er setzt idealtypische Vorstellungen in die Tat um, wird also Papas kleine Prinzessin zu seiner Königin machen.
Je besser es der Erziehung gelang, diese Vorstellung nachhaltig den Töchtern einzuprägen, umso leichter fiel es in der heißen Phase der Erziehung, selbige vor dem jugendlichen Überschwang der heranreifenden Männerwelt zu beschützen.
Unangenehme Nebeneffekte wie die Tatsache, dass zwangsläufig die erste halbwegs ernsthafte Teeniebeziehung dann mit dem tief verankerten Bild vom Märchenprinz in Verbindung gebracht werden muss und das notwendige, unausweichliche Zerbrechen dieser Beziehung zu einem kaum überwindbaren psychologischen Schaden führen würde, wurden dabei billigend in Kauf genommen.
So funktionierte es - und es funktionierte schlecht. Doch das schien jahrhundertelang kaum jemanden zu stören. Wenn dann nämlich Märchenprinz Nummer zwei oder drei ein weißes Pferd und eine Kutsche anmietete, väterlichen Segen erwarb, dann konnte man doch in das königliche Schloss einziehen, nicht wahr?
Verliebt in Anna und Berlin in guten wie in schlechten Zeiten?
Doch das ist alles Unsinn und Märchen aus der Vergangenheit! Wer glaubt denn heute noch so einen Mist?
Zu viele Menschen tun das, leider. Zwar haben die gesellschaftlichen Umbrüche nach dem II. Weltkrieg vor allem in westlichen Gesellschaften geschickt die Verknotung von Märchenprinzen und Geschlechtsverkehr aufgelöst, was ja unbedingte Voraussetzung für die "freie Liebe" war, zu der alle, die nach 1955 geboren wurden, heillos zu spät kamen. Davon einmal abgesehen hat sich allerdings wenig verändert.
Das Mitleben und Mitleiden mit literarischen Figuren ist dabei nicht die Neuigkeit - das schaffte man schon im griechischen Theater. Die Verwendung von darstellendem Spiel als Vehikel für moralische Botschaften über Lebenskonzepte, Vorstellungen davon, was richtig und falsch ist, vor allem aber für die Vorstellung vom geglückten Leben ist ebensowenig neu wie originell.
Dass die gesellschaftlichen Bedingungen der Zeit in die Handlung eingearbeitet werden, ist auch nicht neu - mit der Darstellung einer stutenbissigen Karrierefrau hätte man halt in der Antike, sagen wir, das Genre verfehlt. Stellt sich die Frage: sind die Handlungen neu? die Handlungsverläufe, die Gestaltungsprinzipien? Nein, nichts ist neu. Wie schon immer, kommt der normale, durschnittliche und vor allem vernünftige Mensch nicht vor - und der "Hausverstand" ist ins Werbefernsehen abgewandert.
Oberschichtenromantik (nicht nur wegen der Fallhöhe) wird im Unterschichtenfernsehen dem bildungs- und moralfernen Publikum vorgeführt und mit moralischen Botschaften von Menschen, die selbst keine Haltung, kein Ethos besitzen, gewürzt. Unter der Oberfläche findet unbemerkt von Autoren, Aktueren und Publikum die postbutlersche Rekonstruktion von Geschlechterrollen aus dem viktorianischen Zeitalter statt. Verschleiert wird das durch die Einbeziehung moderner Grundtypen: Karrierefrauen kommen ebenso selbstverständlich vor wie homosexuelle Männer (Lesben sind da eher nicht gefragt, Ausnahmen aus den Frühneunzigern bestätigen die Regel) - und natürlich AlleinerzieherInnen, Patch-work-Konstellationen aller Art.
Überspitzt könnte man fast sagen: hat man einen Schwulen im Programm, fällt keinem mehr auf, wenn man mit dem selben Programm extrem konservative Wertvorstellungen vermittelt und propagiert.
Sex and the Hospital
Serienhits von Heute kommen ohne Sex und Ärzte nicht aus. Was in den 90ern die Anwälte waren, sind jetzt die Ärzte. Die Botschaften sind die selben: Hab einen coolen Beruf, dann hast du viel Sex. Viel und guten Sex zu haben ist Ziel, Zweck und vielleicht sogar überhaupt Rechtfertigungsgrund für das Dasein. Sexualität wird zum Grundbedürfnis, dessen Befriedigung Priorität vor allen anderen Gründbedürfnissen hat. Und: Am Ausmaß dieser Befriedigung wird persönlicher Erfolg gemessen, nicht nur das, auch soziale Kompetenz. Die wirklich angsehenen Rollen in diesen Serien haben die Akteure, die mit den Worten "Ich brauch jetzt Sex!" sich den oder die Nächstbeste schnappen und mit ihr in einem Medikamentenlager verschwinden.
Auf der anderen Seite ist es natürlich höchst bedeutsam, wer, mit wem, wann, warum und sogar wo sexuelle Begegnungen hat. Das liefert Gesprächsstoff und hält die meist schwache Dramaturgie am Laufen, die sonst wahrscheinlich pro Folge eine unüberschaubare Menge von höchstdramatischen Einzelschicksalen benötigen würde, um irgendwie Spannung aufzubauen.
Am Rande sei natürlich auch erwähnt, dass diesen Serien-Sex, der natürlich nur in der Form der Mauerschau vorkommt, meist die Akteure haben, die jung, schlank und gemäß der aktuell von der Medienwelt propagierten Vorstellungen gutaussehend sind. Ausnahmen dienen lediglich zur Erzielung eines kurzen Lacheffekts.
Reality: Sozialpornos
Was die Ärzte können, können die Unterschichten in den Plattenbauten schon längst! Ob bei Teenager werden Mütter oder sonst wo, man weidet sich an den sozialen, sprachlichen und intellektuellen Defiziten der bildungsfernen Schichten. Doch nicht genug, die finden das auch selbst noch höchstinteressant und begeistern sich für die Sendungen - möglicherweise, weil sie Menschen sehen, die irgendwie sind wie sie, aber halt noch ein bisschen schlechter.
Längst ist offenbar geworden, dass hinter diesen Sendungsformaten die Ergötzung an der Unzulänglichkeit anderer steht, die vielen Menschen oft die einzige Möglichkeit ist, sich von der eigenen abzulenken. Nur logisch, dass immer mehr Sendungen darauf abzielen, diese Menschen "herzurichten" wie sie nach Vorstellung der RedakteurInnen gehören.
Die Frage, was diese Menschen mit den schillernden Persönlichkeiten aus den Ärzteserien zu tun haben, lässt sich auf den zweiten Blick relativ leicht beantworten: sie sind das Gegenbild, der Kontrapunkt, das abschreckende Beispiel.
Der neue Mensch?
Die Wertevermittlung durch die Medien scheint auf Hochtouren zu laufen und sie funktioniert sowohl direkt wie auch sublim durch das Festsetzen von Idealvorstellungen. Zusammengefasst und ein bisserl weniger zynisch als hier im Blog findet man dieses Ergebnis in einem Essay von Clemens Berger: Suche nach neuen Menschen. Wenn auch sperrig, durchaus lesenswert!
Jetzt, so könnte man meinen, würde sich herausstellen, dass der zentrale Wert, der hier vor allem bei den Unterschichten ankommen müsste, doch eigentlich die Bildung wäre, die den deutlichen Unterschied zwischen den DoktorInnen bei Greys Anatomy und den Müttern und Großeltern bei Teenager werden Mütter ausmacht.
Doch: falsch gedacht. Der Wert der Bildung ist der breiten Masse immer noch gänzlich unbekannt. Die Message, die ankommt, ist auch nicht Liebe, Menschlichkeit und Verständnis - sieht man von den leicht durchschaubaren Nischenprodukten aus evangelikalem Umfeld einmal ab. Was ankommt ist: Sex. Und zwar: guter Sex.
Guter Sex
Relativ deutlich zeichnet sich aus allen Medienprodukten ab, was "guter Sex" ist. Das mag vielleicht daran liegen, dass sich die unterschiedlichsten DrehbauchfabrikantInnen zwar nicht darauf einigen können, was gute Bildung ist, was ein gelungenes Leben ist, ... aber: darüber, was guter Sex ist, darüber sind sich fast alle Serien einig:
- Von gutem Sex wird man nicht schwanger, es sei denn, man wünscht sich ein Kind.
- Guten Sex hat man dann, wenn man ihn will, und sonst nicht.
- Guten Sex hat man mit attraktiven, erfolgreichen Menschen. Daraus folgt logischerweise:
- Guten Sex haben nur attraktive und erfolgreiche Menschen.
Gravierender als all das zusammen ist eigentlich nur mehr die Tatsache, dass dieses Wertediktat auch an hochgebildeten, differenziert denkenden und sensiblen Menschen durchaus Wirkung zeigt - verherende, manchmal.
Donnerstag, 6. Mai 2010
Ich zitier mich am liebsten selbst ...
weil da weiß ich wenigstens, wie es gemeint ist.
Flohhalsband versus Schrottflinte
In der Hochblüte der Berichterstattung über Missbrauchsfälle in verschiedenen Einrichtungen (von Der Standard und ORF gezielt auf die Fälle in kirchlichen Einrichtungen konzentriert) haben sich viele gefragt, ob man nicht aufgrund solcher Berichte aus der Kirche austreten sollte. Die ÖH an der Universität Salzburg meinte ja neulich, ihre Mitglieder mit solchen Empfehlungen beglücken zu müssen. Nun, wer als einziges Werkzeug einen Hammer hat, wird in jedem Problem einen Nagel erkennen - soviel ist klar, doch das ist es noch nicht. Irgendwie erinnerte mich dieser Kurzschluss an etwas anderes:
Das brachte mich dann zu einer Aussage, die mir ziemlich skeptische Blicke eintrug:
Wenn ich ein Flohproblem habe,
hole ich doch auch nicht die Schrottflinte aus dem Schrank
und erschieß den Hund!
Die Flöhe würdens nicht einmal merken!
Flohhalsband versus Schrottflinte
In der Hochblüte der Berichterstattung über Missbrauchsfälle in verschiedenen Einrichtungen (von Der Standard und ORF gezielt auf die Fälle in kirchlichen Einrichtungen konzentriert) haben sich viele gefragt, ob man nicht aufgrund solcher Berichte aus der Kirche austreten sollte. Die ÖH an der Universität Salzburg meinte ja neulich, ihre Mitglieder mit solchen Empfehlungen beglücken zu müssen. Nun, wer als einziges Werkzeug einen Hammer hat, wird in jedem Problem einen Nagel erkennen - soviel ist klar, doch das ist es noch nicht. Irgendwie erinnerte mich dieser Kurzschluss an etwas anderes:
Das brachte mich dann zu einer Aussage, die mir ziemlich skeptische Blicke eintrug:
Wenn ich ein Flohproblem habe,
hole ich doch auch nicht die Schrottflinte aus dem Schrank
und erschieß den Hund!
Die Flöhe würdens nicht einmal merken!
Donnerstag, 11. März 2010
Die perfekte Welle?
Sexueller Missbrauch und Gewalt in kirchlichen Einrichtungen in Deutschland und Österreich beschäftigt derzeit die Medien. Eine Stimmung macht sich breit, in der Vieles infrage gestellt wird. Zeit, das Problem und die Reaktionen einmal aus einer gewissen Distanz zu beleuchten.
Gleich vorweg: Es steht außer Streit, dass jeder einzelne Fall einer zu viel ist und nicht hätte passieren dürfen. Es steht auch außer Streit, dass die Aufmerksamkeit und Sorge dem Wohl der Opfer gelten muss - unabhängig davon, ob die Ereignisse Tage oder Jahrzehnte zurück liegen. Es steht auch außer Streit, dass der Umgang mit diesen Fällen und die Konsequenzen für die Täter eine deutliche Sprache sprechen muss, was vor allem bedeutet, dass bei aller vielleicht gebotenen Barmherzigkeit sicher zu stellen ist, dass diesen nicht neuerlich Aufgaben übertragen werden, die weitere Taten ermöglichen oder auch nur eine Versuchung dazu darstellen.
Worum geht es?
Die große Schwierigkeit bei diesem Thema besteht darin, dass man eigentlich nicht weiß, wovon die Rede ist. Die Schlagwörter Missbrauch und Gewalt sind zu pauschal und vieldeutig. Für eine allgemeine Befassung mit diesem Thema reicht es aber, festzustellen, dass alles, was auch nur annähernd unter diesen Begriffen subsummiert werden kann, in kirchlichen Einrichtungen nicht vorzukommen hat.
Es geht hier vielmehr um eine andere Frage: Wie soll Öffentlichkeit und Gesellschaft mit dem, was hier zutage tritt, umgehen? Wobei zu hoffen ist, dass Justiz und kirchliche Gerichtsbarkeit ohnehin wissen, was sie zu tun haben.
Austrittswelle in Sicht
Zu erwarten ist eine neuerliche Austrittswelle, die wahrscheinlich dieser Tage bereits losrollt. Logische Kurzschlüsse wie "ich zahle nicht für Kinderschänder" sind bereits im Internet verbreitet und stoßen erwartungsgemäß auf hohe Zustimmung, wie das bei einfachen Antworten ja immer der Fall ist.
Ist das der richtige Weg? Ganz im Gegenteil. Erstens schon einmal deshalb nicht, weil die dadurch dann fehlenden Kirchenbeiträge nicht denen fehlen, die man damit treffen will, sondern im Gegenteil völlig unbeteiligte - die Hauptamtlichen und Freiwilligen in den Pfarren, die Arbeit der Caritas in der Flüchtlingsbetreuung, Obdachlosenbetreuung und Altenpflege, die Arbeit der Hospizbewegung und die Arbeit anderer kirchlicher Einrichtungen. Weder Flüchtlinge, noch Obdachlose, auch nicht in Not geratene schwangere Frauen tragen irgendwelche Schuld an den Vorfällen - die Strafe jedoch gilt ihnen. Die Arbeit der hauptamtlichen und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen in den Pfarren hat mit den Vorfällen nichts zu tun - sie sollen aber draufzahlen?
Wem der Kirchenaustritt vollkommen egal ist
Die Kirchenaustritte sind schlecht für die Statistik, das stimmt. Insofern könnten sie dem Papst oder dem ein oder anderen Kurienkardinal ein kurzes Stirnrunzeln bereiten.
Ansonsten kann es denen vollkommen egal sein, weil die Gelder aus dem Kirchenbeitrag sieht der Vatikan ohnehin nicht, also fehlt ihnen auch nichts, wenn diese Gelder weniger werden.
Die Klöster - auffällig viele der Missbrauchsfälle haben sich im Umfeld von Ordenseinrichtungen ereignet - sind wirtschaftlich autark, das heißt, sie erwirtschaften das Geld, das sie brauchen, selbst: entweder durch Bewirtschaftung von Ländereien, durch die Arbeit ihrer Ordensmitglieder oder durch Spenden. Auch die Klöster bekommen von den Geldern aus dem Kirchenbeitrag nichts - auch ihnen wird nichts fehlen, wenn diese Gelder weniger werden.
Wem der Kirchenaustritt nützt
Wer hat dann eigentlich etwas davon, dass es nach solchen Enthüllungen zu den obligaten Austrittswellen kommt?
Zuerst einmal die grundsätzlich kirchenfeindlich eingestellten Kreise, allen voran der fundamentalistische Atheismus - ihnen spielen solche Ereignisse in die Hände und sie sind sich auch nicht zu schade, aus dem Leid der Opfer politisches Kleingeld zu schlagen.
Dann aber - und das sollte zu denken geben - profitieren hauptsächlich die Täter von der Austrittswelle. Diese Aussage bedarf einer genaueren Erklärung:
Zuerst muss man wissen: die römisch-katholische Kirche in Österreich ist der Arbeitgeber von 60.000 Menschen. Zu diesen zählen insbesondere hauptamtliche Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten, die in den Pfarren die seelsorgliche Arbeit des Pfarrers mittragen und unterstützen.
Schon lange hat sich in vielen Pfarren die Praxis eingelebt, dass diese Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten gemeinsam mit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Ministrantinnen und Ministranten und vieles mehr zuständig sind. Viele Pfarrer halten sich aus diesen Bereichen aus verschiedenen Gründen weitgehend heraus.
Wenn nun die Beiträge weniger werden, wird es diese Angestellten zuerst treffen. Nun mag zwar jenen Menschen, die auf den Impuls solcher Missbrauchsfälle hin aus der Kirche austreten, die Tatsache relativ egal sein, dass deren Arbeit dann nicht mehr getan wird, was ihnen aber nicht egal sein sollte: die Priester, die das oft aus gutem Grund nicht wollen, werden sie wieder tun müssen, und - selbst wenn nicht - fehlt eine auf Vollzeitbasis anwesende Person im Pfarrbetrieb. Welche Rolle das spielen würde, das ist wahrscheinlich in jeder Pfarre unterschiedlich - jedenfalls ist es allerdings sehr häufig, dass die pastoralen Angestellten in der Pfarre die Rolle eines gesunden Korrektivs übernehmen. Es ist also zumindest vorstellbar, dass ihr Fehlen in der Pfarre neuerlich jenes ungebremste hierarchische Gefälle erzeugt, das früher zwischen Pfarrer und den Gemeindemitgliedern - vor allem den jüngsten darunter - stand. Mit "früher" meine ich im übrigen genau jene Zeit vor dem Konzil, in der sich ein Großteil der Missbrauchsfälle ereignet hat, von denen in den Medien dieser Tage die Rede ist. Ob das im Sinne der Kichenaustreterinnen und Kirchenaustreter wäre?
Warum nicht: "Jetzt erst recht!"?
Ein Teil der innerkirchlichen Probleme verdankt sich dem Umstand, dass kirchenkritische Gläubige zu leichtfertig der (Amts-)Kirche den Rücken zukehren, anstatt aktiv aufzutreten und sich als Kirche gehör zu verschaffen. Kirchenpolitisch sind diese Austrittswellen wahrscheinlich sogar ein wesentlicher Faktor für das konservative Bewahren eines Ist-Zustandes, auch wenn dieser schon längst nicht mehr tragbar und erträglich ist.
Es ist bequemer, auszutreten und zu schimpfen, als aufzustehen und etwas zu tun.
Gleich vorweg: Es steht außer Streit, dass jeder einzelne Fall einer zu viel ist und nicht hätte passieren dürfen. Es steht auch außer Streit, dass die Aufmerksamkeit und Sorge dem Wohl der Opfer gelten muss - unabhängig davon, ob die Ereignisse Tage oder Jahrzehnte zurück liegen. Es steht auch außer Streit, dass der Umgang mit diesen Fällen und die Konsequenzen für die Täter eine deutliche Sprache sprechen muss, was vor allem bedeutet, dass bei aller vielleicht gebotenen Barmherzigkeit sicher zu stellen ist, dass diesen nicht neuerlich Aufgaben übertragen werden, die weitere Taten ermöglichen oder auch nur eine Versuchung dazu darstellen.
Worum geht es?
Die große Schwierigkeit bei diesem Thema besteht darin, dass man eigentlich nicht weiß, wovon die Rede ist. Die Schlagwörter Missbrauch und Gewalt sind zu pauschal und vieldeutig. Für eine allgemeine Befassung mit diesem Thema reicht es aber, festzustellen, dass alles, was auch nur annähernd unter diesen Begriffen subsummiert werden kann, in kirchlichen Einrichtungen nicht vorzukommen hat.
Es geht hier vielmehr um eine andere Frage: Wie soll Öffentlichkeit und Gesellschaft mit dem, was hier zutage tritt, umgehen? Wobei zu hoffen ist, dass Justiz und kirchliche Gerichtsbarkeit ohnehin wissen, was sie zu tun haben.
Austrittswelle in Sicht
Zu erwarten ist eine neuerliche Austrittswelle, die wahrscheinlich dieser Tage bereits losrollt. Logische Kurzschlüsse wie "ich zahle nicht für Kinderschänder" sind bereits im Internet verbreitet und stoßen erwartungsgemäß auf hohe Zustimmung, wie das bei einfachen Antworten ja immer der Fall ist.
Ist das der richtige Weg? Ganz im Gegenteil. Erstens schon einmal deshalb nicht, weil die dadurch dann fehlenden Kirchenbeiträge nicht denen fehlen, die man damit treffen will, sondern im Gegenteil völlig unbeteiligte - die Hauptamtlichen und Freiwilligen in den Pfarren, die Arbeit der Caritas in der Flüchtlingsbetreuung, Obdachlosenbetreuung und Altenpflege, die Arbeit der Hospizbewegung und die Arbeit anderer kirchlicher Einrichtungen. Weder Flüchtlinge, noch Obdachlose, auch nicht in Not geratene schwangere Frauen tragen irgendwelche Schuld an den Vorfällen - die Strafe jedoch gilt ihnen. Die Arbeit der hauptamtlichen und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen in den Pfarren hat mit den Vorfällen nichts zu tun - sie sollen aber draufzahlen?
Wem der Kirchenaustritt vollkommen egal ist
Die Kirchenaustritte sind schlecht für die Statistik, das stimmt. Insofern könnten sie dem Papst oder dem ein oder anderen Kurienkardinal ein kurzes Stirnrunzeln bereiten.
Ansonsten kann es denen vollkommen egal sein, weil die Gelder aus dem Kirchenbeitrag sieht der Vatikan ohnehin nicht, also fehlt ihnen auch nichts, wenn diese Gelder weniger werden.
Die Klöster - auffällig viele der Missbrauchsfälle haben sich im Umfeld von Ordenseinrichtungen ereignet - sind wirtschaftlich autark, das heißt, sie erwirtschaften das Geld, das sie brauchen, selbst: entweder durch Bewirtschaftung von Ländereien, durch die Arbeit ihrer Ordensmitglieder oder durch Spenden. Auch die Klöster bekommen von den Geldern aus dem Kirchenbeitrag nichts - auch ihnen wird nichts fehlen, wenn diese Gelder weniger werden.
Wem der Kirchenaustritt nützt
Wer hat dann eigentlich etwas davon, dass es nach solchen Enthüllungen zu den obligaten Austrittswellen kommt?
Zuerst einmal die grundsätzlich kirchenfeindlich eingestellten Kreise, allen voran der fundamentalistische Atheismus - ihnen spielen solche Ereignisse in die Hände und sie sind sich auch nicht zu schade, aus dem Leid der Opfer politisches Kleingeld zu schlagen.
Dann aber - und das sollte zu denken geben - profitieren hauptsächlich die Täter von der Austrittswelle. Diese Aussage bedarf einer genaueren Erklärung:
Zuerst muss man wissen: die römisch-katholische Kirche in Österreich ist der Arbeitgeber von 60.000 Menschen. Zu diesen zählen insbesondere hauptamtliche Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten, die in den Pfarren die seelsorgliche Arbeit des Pfarrers mittragen und unterstützen.
Schon lange hat sich in vielen Pfarren die Praxis eingelebt, dass diese Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten gemeinsam mit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Ministrantinnen und Ministranten und vieles mehr zuständig sind. Viele Pfarrer halten sich aus diesen Bereichen aus verschiedenen Gründen weitgehend heraus.
Wenn nun die Beiträge weniger werden, wird es diese Angestellten zuerst treffen. Nun mag zwar jenen Menschen, die auf den Impuls solcher Missbrauchsfälle hin aus der Kirche austreten, die Tatsache relativ egal sein, dass deren Arbeit dann nicht mehr getan wird, was ihnen aber nicht egal sein sollte: die Priester, die das oft aus gutem Grund nicht wollen, werden sie wieder tun müssen, und - selbst wenn nicht - fehlt eine auf Vollzeitbasis anwesende Person im Pfarrbetrieb. Welche Rolle das spielen würde, das ist wahrscheinlich in jeder Pfarre unterschiedlich - jedenfalls ist es allerdings sehr häufig, dass die pastoralen Angestellten in der Pfarre die Rolle eines gesunden Korrektivs übernehmen. Es ist also zumindest vorstellbar, dass ihr Fehlen in der Pfarre neuerlich jenes ungebremste hierarchische Gefälle erzeugt, das früher zwischen Pfarrer und den Gemeindemitgliedern - vor allem den jüngsten darunter - stand. Mit "früher" meine ich im übrigen genau jene Zeit vor dem Konzil, in der sich ein Großteil der Missbrauchsfälle ereignet hat, von denen in den Medien dieser Tage die Rede ist. Ob das im Sinne der Kichenaustreterinnen und Kirchenaustreter wäre?
Warum nicht: "Jetzt erst recht!"?
Ein Teil der innerkirchlichen Probleme verdankt sich dem Umstand, dass kirchenkritische Gläubige zu leichtfertig der (Amts-)Kirche den Rücken zukehren, anstatt aktiv aufzutreten und sich als Kirche gehör zu verschaffen. Kirchenpolitisch sind diese Austrittswellen wahrscheinlich sogar ein wesentlicher Faktor für das konservative Bewahren eines Ist-Zustandes, auch wenn dieser schon längst nicht mehr tragbar und erträglich ist.
Es ist bequemer, auszutreten und zu schimpfen, als aufzustehen und etwas zu tun.
Sonntag, 17. Januar 2010
Als Hedonismus getarnter Fatalismus
Fatalismus ist in unserer Leistungsgesellschaft etwas Unerwünschtes - Leute, die aussprechen, welche Maßnahmen im persönlichen wie im öffentlichen Leben eigentlich vollkommen wirkungslos sind, bremsen die Wirtschaft und werden als Pessimisten und Fatalisten in öffentlichen Diskursen an den Rand gedrängt. Eine andere Art von Fatalismus scheint sich allerdings höchster Beliebtheit zu erfreuen.
"Bereue nichts, wenn du in diesem Augenblick glücklich warst"
Nur einen kurzen Moment nachgedacht entpuppt sich die Aussage als ein Aufruf dazu, sein Leben zu versauen und es wegzuwerfen zugunsten von Augenblicken, in denen man glücklich ist. Ebenso könnte man einer suizidgefährdeten Person am Dach des Wolkenkratzers sagen, sie soll doch den freien Fall genießen, dieses unbeschreibliche Gefühl von Freiheit, dann wäre es schon in Ordnung, sich feig aus dem Leben zu stehlen. Ich spüre schon das Entsetzen, wenn diese Zeilen gelesen werden: "das kann man doch so nicht sagen" - "so ist das doch nicht gemeint" - "das kann man nicht vergleichen". Doch! Man kann, und ich bin der Meinung, man muss sogar.
In der Absolutheit der Formulierung rechtfertigt dieser Spruch eigentlich alles - alles, was in einer negativen Sicht von Hedonismus Platz hat. Die Botschaft ist so klar und eindeutig, dass es eigentlich schaurig ist, wie oft sie nicht gesehen und nicht verstanden wird.
Der ständige Blick aufs Große und Ganze scheint außerdem sowieso auf die Dauer eine Überforderung zu werden, denn wer gewohnt ist, dass jeder brutale Fernsehkrimi alle viertel Stunden einmal eine Werbepause mit möglichst viel schönen Dingen hat, dem entgehen manche Zusammenhänge ganz selbstverständlich.
"Ich bin, wie ich bin - damit müsst ihr leben"
Da könnte man auf den ersten Blick meinen, dass es sich um eine flapsige, aber gut gemeinte Bestärkung des eigenen Selbstbewusstseins handelt. Und es ist schließlich nur eine Facebook-Gruppe mit gut 500 Mitgliedern. Die ideologische Schwesterngruppe "Ich bin so! Ich bleib so! Kommst du damit nicht klar dann verpiss dich!" zählt 12.000 Mitglieder. Der österreichische Popsänger Falco hat 1998 die dahinter stehende Geisteshaltung mit den Zeilen "Die ganze Welt dreht sich um mich, denn ich bin nur ein Egoist" beschrieben.
Es handelt sich nämlich hier garnicht um eine Stärkung des Selbstbewusstseins sondern um eine Ätiologie asozialen Verhaltens.
"Bleib, wie du bist - damit du wirst, wie du sein kannst" könnte man hier getrost als Gegenkonzept anführen: Sich selbst treu bleiben, seine Identität nicht aufgeben, und eben deshalb offen sein für Veränderung - genau das wird mit den zitierten Aussagen deutlich abgelehnt und durch ein Festbeißen in den status quo des eigenen Ichs ersetzt. Die modernen Ideale der ewigen Jugend sind ein Nährboden für diese Art von Erstarrung, Konservativismus und Traditionalismus. Das asoziale Verhalten ist die Frucht dieses Bodens und die aggressive Verteidigung des Selbstbewusstseins ist ein deutliches Zeichen dafür, dass dieses Selbstbewusstsein eigentlich fehlt - es wird ersetzt durch Äußerlichkeiten, die als Identitätsmerkmale herhalten müssen.
Das erfüllt natürlich einen doppelten Zweck: Zum einem werden diese Äußerlichkeiten damit nutzbar gemacht, zum anderen werden sie entschuldigt, wodurch eine eventuell notwendige Änderung abgeblockt wird - als ein Angriff auf die eigene Identität.
So begiebt man sich in eine Sackgasse der Persönlichkeitsentwicklung und während der Zahn der Zeit am Körper nagt, bleibt die Psyche dort gefangen und ist weit von der notwendigen Umkehr und Versöhnung entfernt, die aus der Sackgasse herausführen könnten. Dass es der Psyche dort dann ziemlich bald zu eng werden wird, darüber denkt man am Besten nicht nach.
Augenblicke gehören zum Ganzen, Veränderung gehört zum Leben
Jeder Augenblick ist Teil des ganzen menschlichen Lebens und Identität lässt sich nur in der Veränderung erhalten. Das klingt bei weitem nicht so reisserisch und populär, dabei können auch die einschlägigen Berufsgruppen nicht die Kassen klingeln hören und jene Menschen, die den unerkannten Fatalismus anderer ausnützen wollen, stehen auf verlorenem Posten. Doch kommt das der Wirklichkeit um einiges näher als die flotten Sprüche, die so breite Zustimmung finden. Und Platz für Hedonismus - wirklichen Hedonsimus - gibt es bei Weitem genug: Was ist größere Freude, als sich am ganzen Leben erfreuen zu können? Da kann jeder glückliche Augenblick einpacken. Was ist größere Freude, als in der Veränderung ganz selbst sein zu dürfen? Da ist stures Stillhalten doch mühsam dagegen.
"Bereue nichts, wenn du in diesem Augenblick glücklich warst"
Nur einen kurzen Moment nachgedacht entpuppt sich die Aussage als ein Aufruf dazu, sein Leben zu versauen und es wegzuwerfen zugunsten von Augenblicken, in denen man glücklich ist. Ebenso könnte man einer suizidgefährdeten Person am Dach des Wolkenkratzers sagen, sie soll doch den freien Fall genießen, dieses unbeschreibliche Gefühl von Freiheit, dann wäre es schon in Ordnung, sich feig aus dem Leben zu stehlen. Ich spüre schon das Entsetzen, wenn diese Zeilen gelesen werden: "das kann man doch so nicht sagen" - "so ist das doch nicht gemeint" - "das kann man nicht vergleichen". Doch! Man kann, und ich bin der Meinung, man muss sogar.
In der Absolutheit der Formulierung rechtfertigt dieser Spruch eigentlich alles - alles, was in einer negativen Sicht von Hedonismus Platz hat. Die Botschaft ist so klar und eindeutig, dass es eigentlich schaurig ist, wie oft sie nicht gesehen und nicht verstanden wird.
- Schalte dein Gewissen aus!
- Schau nicht auf dein Leben, schau auf den Augenblick!
- Denke nicht darüber nach, was du getan hast und vor allem
- denke nicht darüber nach, was du tun wirst.
Der ständige Blick aufs Große und Ganze scheint außerdem sowieso auf die Dauer eine Überforderung zu werden, denn wer gewohnt ist, dass jeder brutale Fernsehkrimi alle viertel Stunden einmal eine Werbepause mit möglichst viel schönen Dingen hat, dem entgehen manche Zusammenhänge ganz selbstverständlich.
"Ich bin, wie ich bin - damit müsst ihr leben"
Da könnte man auf den ersten Blick meinen, dass es sich um eine flapsige, aber gut gemeinte Bestärkung des eigenen Selbstbewusstseins handelt. Und es ist schließlich nur eine Facebook-Gruppe mit gut 500 Mitgliedern. Die ideologische Schwesterngruppe "Ich bin so! Ich bleib so! Kommst du damit nicht klar dann verpiss dich!" zählt 12.000 Mitglieder. Der österreichische Popsänger Falco hat 1998 die dahinter stehende Geisteshaltung mit den Zeilen "Die ganze Welt dreht sich um mich, denn ich bin nur ein Egoist" beschrieben.
Es handelt sich nämlich hier garnicht um eine Stärkung des Selbstbewusstseins sondern um eine Ätiologie asozialen Verhaltens.
"Bleib, wie du bist - damit du wirst, wie du sein kannst" könnte man hier getrost als Gegenkonzept anführen: Sich selbst treu bleiben, seine Identität nicht aufgeben, und eben deshalb offen sein für Veränderung - genau das wird mit den zitierten Aussagen deutlich abgelehnt und durch ein Festbeißen in den status quo des eigenen Ichs ersetzt. Die modernen Ideale der ewigen Jugend sind ein Nährboden für diese Art von Erstarrung, Konservativismus und Traditionalismus. Das asoziale Verhalten ist die Frucht dieses Bodens und die aggressive Verteidigung des Selbstbewusstseins ist ein deutliches Zeichen dafür, dass dieses Selbstbewusstsein eigentlich fehlt - es wird ersetzt durch Äußerlichkeiten, die als Identitätsmerkmale herhalten müssen.
Das erfüllt natürlich einen doppelten Zweck: Zum einem werden diese Äußerlichkeiten damit nutzbar gemacht, zum anderen werden sie entschuldigt, wodurch eine eventuell notwendige Änderung abgeblockt wird - als ein Angriff auf die eigene Identität.
So begiebt man sich in eine Sackgasse der Persönlichkeitsentwicklung und während der Zahn der Zeit am Körper nagt, bleibt die Psyche dort gefangen und ist weit von der notwendigen Umkehr und Versöhnung entfernt, die aus der Sackgasse herausführen könnten. Dass es der Psyche dort dann ziemlich bald zu eng werden wird, darüber denkt man am Besten nicht nach.
Augenblicke gehören zum Ganzen, Veränderung gehört zum Leben
Jeder Augenblick ist Teil des ganzen menschlichen Lebens und Identität lässt sich nur in der Veränderung erhalten. Das klingt bei weitem nicht so reisserisch und populär, dabei können auch die einschlägigen Berufsgruppen nicht die Kassen klingeln hören und jene Menschen, die den unerkannten Fatalismus anderer ausnützen wollen, stehen auf verlorenem Posten. Doch kommt das der Wirklichkeit um einiges näher als die flotten Sprüche, die so breite Zustimmung finden. Und Platz für Hedonismus - wirklichen Hedonsimus - gibt es bei Weitem genug: Was ist größere Freude, als sich am ganzen Leben erfreuen zu können? Da kann jeder glückliche Augenblick einpacken. Was ist größere Freude, als in der Veränderung ganz selbst sein zu dürfen? Da ist stures Stillhalten doch mühsam dagegen.
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